Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Erich Przywara: Augustinisch

Erich Przywara (1889-1972), der katholische Philosoph und Jesuit aus Oberschlesien, ist heute vor allem noch durch seinen Einfluss auf Edith Stein und Gertrud von le Fort bekannt. Von 1925 bis 1931 führte er Edith Stein tiefer in die katholische Geisteswelt ein. Auf seinen Ratschlag hin übersetzte sie John Henry Newmans Briefe und Schlüsseltexte von Thomas von Aquin. Ihm verdankt Gertrud von le Fort die Anregung für ihre „Hymnen an die Kirche“.

Dabei war Przywara selbst zwischen den Weltkriegen eine einflussreiche Größe des katholischen Geisteslebens. Publizistisch setzte er sich in Deutschland für Newman ein und versuchte, mit kritischen Aufsätzen nach dem Trauma der Kriegserfahrung Orientierung für die Auseinandersetzung mit den divergierenden geistigen Strömungen der Zeit zu geben. Vor allem sein philosophisches Hauptwerk „Analogia entis“ zur Frage nach dem Sein hat als profunder Beitrag zur Metaphysik bleibende Bedeutung. Der Johannes Verlag hält dieses Werk verfügbar und hat nun mit dem Text „Augustinisch“ eine weitere wichtige Schrift Przywaras neu aufgelegt.

Nicht Augustinus, sondern das Augustinische als eine „Ur-Haltung des Geistes“, von der Przywara die großen Linien der denkerischen Bemühungen des Abendlandes bestimmt sieht, ist Gegenstand dieses Textes. Die Abhandlung ist ursprünglich als Vorwort für eine Auswahl von ihm übersetzter Schriften Augustins verfasst worden, ist ihm aber unter der Hand zu einer weit ausgreifenden Geistesgeschichte geworden, die den Nachwirkungen der denkerischen Grundspannung in Augustins Werk nachgeht. Es sind die bei Augustin hin- und herschwingenden und den Ausgleich suchenden Pendelschläge, die sich in den Gegensätzen unterschiedlicher Denkansätze bis in die Neuzeit weiter forttragen und austragen. Zwischen voluntaristisch-affektiv und intellektualistisch-kontemplativ, antimanichäisch und antipelagianisch, „Fleisch als Ort der Sünde“ und „Fleisch als Offenbarsein des Geistes“ öffnen sich bei Augustinus immer wieder die Spannungsbögen, deren Fortwirkung Przywara nachspürt.

Diese Pole, die Augustin selbst aber in eine Vermittlung zurückzubiegen bemüht war, prägten sich bei den Denkrichtungen nach ihm oft nach einer Seite hin aus, in der Scholastik im Gegensatz von Thomas von Aquin und Duns Scotus; hier die „Ewigen Ideen“ des frühen Augustinus, dort die „Tiefe des unbegreiflichen Gottes“ des späten. So führte auch in der Neuzeit eine Linie von Descartes über Kant zu Hegel und weiter zur Phänomenologie, in der sich die „leidenschaftliche Lebendigkeit augustinischer Intelligibilität“ verwirkliche. In einer von Baaders romantischem Sehnen ausgehenden und über die „Nacht“ von Görres und Bachofen bis zur „Geschichte als Sünde-Sühne-Nacht“ Kierkegaards führenden Linie lebe dagegen die „leidenschaftliche Lebendigkeit augustinischer Inkomprehensibilität“ fort.

Lösen sich diese Pole aus der vermittelnden Spannung und treiben auf ein Extrem zu, verlieren sie die ausgleichende Korrektur der Gegenspannung. Die Auffassung vom „Fleisch als Ort der Sünde“ etwa mündete in die Überschärfe der Reformatoren und Jansenisten, bei Luther und Pascal etwa. Mit Hegel wiederum, der Gott in die Immanenz des Denkens hineinnimmt, kann diese „Aufsaugung Gottes“ zum Atheismus führen, ebenso wie bei der entgegengesetzten Haltung Kierkegaards, der Gott als das absolute „Jenseits des Denkens“ sieht, Atheismus aus „Verzweiflung an Gott“ eine mögliche Konsequenz ist.

Mit erhellender Zusammenschau folgt Przywara weiteren Linien, in denen der augustinische Spannungsbogen sich zeige, etwa der von Husserl mit seiner Betonung des Wahren ausgehenden, über Scheler mit seinem Fragen nach dem Guten, bis zu Heidegger mit seiner Suche nach dem Sein, worin sich die „neuplatonische ‚Ekstase zu Wahr, Gut, Sein‘“ des frühen Augustinus spiegele, die aber mit einer „Vergöttlichung der Kreatur“ letztlich zum entgegengesetzten Pol des Manichäismus hingezogen sei. Bei Newman jedoch, auf den Przywara ein besonderes Augenmerk legt, sieht er den Augustinus der vermittelten Gegensätze wiederentdeckt, dessen „Einheit von Furcht und Liebe“ und dessen „Einen Deus exterior et interior“ er wieder zur Geltung bringe.

In abschließender Synthese spannt Przywara ein Koordinatensystem auf, das die beiden Grundgestalten des christlichen Denkens, den an Platon orientierten Augustinus und den an Aristoteles orientierten Thomas von Aquin, nach ihrer Erkenntnisrichtung hin ausmisst und allgemein eine Leitlinie für die Einordnung geistesgeschichtlicher Positionen gibt: Gehen sie von „apriorischer Intuition oder realer Erfahrung“ aus, von „primärer Selbsterkenntnis oder primärer Welterkenntnis“, sind sie „primär theologisch oder primär philosophisch“ ausgerichtet? Augustin repräsentiert eher die jeweils erste Richtung, Thomas die zweite, wobei sich bei beiden „intuitive Weisheit und induktive Wissenschaft“ verbinden.

 

Wer die Landkarte der geistesgeschichtlichen Zusammenhänge verstehen will, wird in Przywaras „Augustinisch“ einen nützlichen Kompass finden.

Ur-Haltung des Geistes
Freiburg: Johannes Verlag Einsiedeln. (1970) 32022
114 Seiten
15,00 €
ISBN 978-3-89411-191-5

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