Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Felicitas Hoppe: Fährmann, hol über!

Das Thema „Religion und Literatur“ kann man wissenschaftlich angehen, indem man die religiösen Erfahrungen, die sich in literarischen Texten niedergeschlagen haben, beschreibt und deutet. Wer zu diesem Büchlein von Felicitas Hoppe greift, nimmt unmittelbar Anteil am Entstehungsprozess religiös grundierter Literatur und begegnet einer belesenen Schriftstellerin, die fähig ist, selbstreflexiv Rechenschaft von ihrem eigenen Leben und Schreiben zu geben.

Die 1960 geborene Schriftstellerin, Trägerin des renommierten Büchner-Preises und zahlreicher anderer literarischer Auszeichnungen, stammt aus einer „katholischen Familie von Tag- und Nachtträumern, von schlesischen Vielrednern auf der Flucht, die auch ihre Träume einander nicht vorenthielten; Träume, von denen ich bis heute nicht weiß, ob sie wahr oder erfunden waren ..." In ihrem Elternhaus wird viel erzählt, vorgelesen und das Gehörte von der Autorin schon beim Hören in flüchtigen Skizzen festgehalten. Die erste Beichte erlebt das fünfjährige Kind als einen Ausflug ins Reich der Wörter und der Phantasie. Das persönliche Bekenntnis erschien ihr geheimnis- und verheißungsvoll, der Beichtstuhl als Ort, an dem alles gesagt, aber nichts verraten wird, als „das aufgespannte Ohr Gottes", dem siestraffrei anvertraute, was sie sich ausgedacht hatte. Dieses Sündenbekenntnis gerät ihr zur Fiktion, zu einer Mischung aus vagem Schuldbekenntnis und einer Erfindung von Sünden in Gedanken, Worten und Werken, die sie nur scheinbar begangen hatte. Das Sakrament wird zum Ort, an dem die Dichterin die Schönheit der Diskretion, die unendlichen Möglichkeiten der Fiktion und die Befreiung davon erlebt. Damit hat Felicitas Hoppe Stichwörter gefunden, die ihr den kritischen Blick auf den öffentlichen Sprachgebrauch in der heutigen Medienwelt eröffnen. Auf keinem Podium der Welt hat ihr jemand so vorbehaltlos Glauben geschenkt wie der Priester im Beichtstuhl. Das Podium ist Bühne, das Gespräch immer Aufführung, Moderatoren und Talkmaster sind den Gesetzen dauernder Unterhaltung und Verwertung unterworfen, „die nichts anderes zu verwalten haben als das Streckbett verzerrter Gefühle, eingekaufter Meinungen und Empfindungen, Geständnisse und Erfindungen. Ein Haufen liebloser, selbsternannter Beichtmütter und -väter der Öffentlichkeit rund um die Uhr."

Wie in dieser Geschichte entzündet sich auch in den übrigen Essays die Phantasie der Schriftstellerin an unbeachteten Nebenmotiven und Requisiten, an Wörtern und Redewendungen, an Zeichen und Gesten. Im Mittelpunkt ihrer Gedanken zum Buch Josua stehen nicht die Helden, die das Land mit der „Schärfe des Schwertes" erobern, sondern die Erinnerung an ein rotes Seil, das in einer illustrierten Kinderbibel vom Haus der Dirne Rahab auf der Stadtmauer von Jericho herabhängt.

Requisit des heiligen Martin von Tours ist das Schwert, mit dem er seinen Mantel mit dem frierenden Bettler teilt; sein Namensvetter Martin Luther benutzt einen Hammer, um seine Thesen anzuschlagen, und Jeanne d´Arc, eine der Lieblingsheiligen von Felicitas Hoppe, führt ihre Soldaten in den Kampf mit dem Schlachtruf „Beim heiligen Martin". Die beiden Martins und die den Nationalheiligen Frankreichs anrufende Johanna eint die Autorin zu einem Trio, dessen gemeinsames Band ihre Radikalität, ihre Widersprüchlichkeit und ihre aufmüpfige Frömmigkeit bilden.

Die beiden Essays „Wie pfeift man das Johannesevangelium?" und „Und schrieb in den Sand" würde ich in die Kategorie „Künstlertexte" einordnen. In ihnen erklärt die Autorin auf einem teilweise hohen Abstraktionsniveau ihre schriftstellerische Arbeit und zeigt in einer Art Relektüre der eigenen Werke, wie diese, obwohl sie sich nicht als „katholische Schriftstellerin" versteht, eher unbewusst von religiösen Motiven durchsetzt sind. Beiden Texten dürften Poetikvorlesungen zugrunde liegen, die 2009 unter dem Titel „Sieben Schätze. Augsburger Vorlesungen" veröffentlicht wurden.

Hoppes Umgang mit der biblisch-christlichen Tradition ist höchst originell und subjektiv, schert sich nicht um etablierte Sichtweisen und orthodoxe Richtigkeiten, sondern entfaltet auf nachdenkliche, oft humorvolle Weise seine eigenen literarischen Wahrheiten. Ihre Geschichten sind im besten Sinne erbaulich und nicht immer eine leichte Kost. Sie richten sich an Leser, die bereit sind, den eigenwilligen Wegen der Autorin ins Grenzgebiet von Religion und Literatur zu folgen.

Oder wie man das Johannesevangelium pfeift
Mit einem Essay herausgegeben von Thomas Brose
Freiburg: Herder Verlag. 2021
159 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-451-39038-8

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