Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating (Hg.): Systemänderung oder Kollaps unseres Planeten

Erklärung der Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating der Goethe-Universität Frankfurt – Arbeitskreis Wissenschaft 
Federführung: Johannes Hoffmann 

20 Jahre ist es her, dass die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating den sogenannten Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden (FHL) veröffentlichte und damit einen einflussreichen, praxisnahen Diskursbeitrag zur Bewertung von Nachhaltigkeitsstrategien in wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Prozessen leistete. Zeit, sich an eine kritische relecture zu wagen, wie die Forschungsgruppe nun befand. Herausgekommen ist dabei die oben genannte Erklärung, die auf wenigen Seiten neue Facetten des Diskurses um Formen, Möglichkeiten und Nutzen ökologischer Ratings umreißt und diese in die eigens entworfene Kriteriologie einzubetten sucht. 

In hohem Maße differenziert nimmt man sich dabei des Begriffs der Nachhaltigkeit an und zeichnet eine Entwicklung nach, der zufolge Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahrzehnten zu einer bloßen Chiffre verkommen sei – oftmals befördert durch die vermeintlichen Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen. Undifferenziert und ungeniert sei von Nachhaltigkeit im gegenwärtigen Diskurs selbst dann noch die Rede, wenn es um die Beschreibung von Prozessen ginge, deren vornehmliches Ziel die ökonomische Gewinnmaximierung sei. Dem stellt man einen klar konturierten und prägnanten Nachhaltigkeitsbegriff gegenüber: „Nachhaltigkeit ist die Erhaltung der Substanz von Gemeinschaftsgütern“. Konsequent werden folglich alle Prozesse, die auf Substanzverzehr ausgerichtet sind und gleichsam die Ausbeutung von Natur, Mensch, Gesellschaft und Kultur zur Folge haben, als Negativentwicklungen herausgestellt. Dies mündet in ein bedenkenswertes Plädoyer, Finanzkapital bei der Bewertung nachhaltiger Prozesse außen vor zulassen und der Wirtschaft so wieder eine Rolle des Mittels und nicht länger des Zwecks an sich zuzuweisen. Kultur-, Sozial- und Naturverträglichkeit werden dementgegen als die bestimmenden Dimensionen vorgestellt, innerhalb derer Nachhaltigkeit zu denken, entwickeln und bewerten sei. Dieser konsequente Ansatz läuft jedoch Gefahr, zur bloßen Utopie zu verkommen, wo der Substanzerhalt als Credo zugunsten eines ökonomisch-ökologischen Heilswirkens aufgegeben wird und wo man Wirtschaft zum „Ort und zum Mittel“ verklärt, „in dem Unternehmen, Kommunen, Investoren, Bürgerinitiativen etc. miteinander wetteifern, wie jeder auf seine Weise und alle gemeinsam Wege zur Erzielung von Mehrwert für alle Menschen und für die Bewahrung der Schöpfung zusammenwirken können.“ Der von der Forschungsgruppe schließlich angeführte Kriterienkatalog (10 Gebote des ethisch-ökologischen Ratings inklusive) versucht die Überlegungen in praxisrelevante Bewertungsmaßstäbe zu überführen. An diesen können auch außerwirtschaftliche Gesellschaftsgruppen – wie etwa Schulen – hervorragend anknüpfen.

Im Bemühen um einen prägnanten, möglichst praxisrelevanten Öko-Ethos werden tiefergehende Argumentationsfiguren zu den verschiedenen Normen und Kriterien weitestgehend hintangestellt. Aber auch in den argumentativen Analyseteilen, die sich der Darstellung der Parameter des gegenwärtigen Diskurses widmen, hält bisweilen ein recht kurzatmiger Beschreibungsstil Einzug. Darüber bleibt zu wenig Raum, sich etwa eingehend mit dem eingangs mehrfach verwendeten Begriff des „Systems“ auseinanderzusetzen. So gerät die erhoffte „Systemänderung“ zum bloßen Losungswort, das ebenso die ökologischen Tagträumereien eines nahenden ökologischen Bewusstseinswandels oder einer kulturellen Transformation umschreiben könnte. Diese begriffliche Unterbestimmtheit wird spätestens dann zum Makel, wenn die Systemänderung oder der systemische Ansatz als hervorragendes Mittel ausgelobt wird, mit dem man in der Lage sei, den Kollaps des Planeten zu verhindern und damit die Erde zu retten. Hier klingen Alternativradikalismen an, welche die ökologische Mobilisierung der ökologischen Aufklärung voranstellen.

Insgesamt bleibt dennoch festzuhalten, dass mit der Erklärung höchst bedenkenswerte und praxisrelevante Argumentationsfiguren und Impulse gegeben sind, anhand derer sich Maßstäbe für die kritische Teilhabe an einem der wichtigsten Diskurse unserer Zeit entwickeln lassen. 

Erkelenz: Altius Verlag. 2016 
72 Seiten 
9,90 € 
ISBN 978-3-932483-59-2

 

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