Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Georg Langenhorst: „In welchem Wort wird unser Heimweh wohnen?"

Einer Anekdote zufolge habe der berühmte liberale Theologe Adolf von Harnack beim Einrichten einer Bibliothek gesagt: „Die Dogmatik stellen wir zur schönen Literatur." Was im 19. Jahrhundert irritierend wirken musste, ist vor dem Hintergrund einer säkularisierten Moderne und einer selbstkritischen Theologie plausibler geworden. Die Annäherung von Theologie und Literatur hat Forschungsschwerpunkte mit eigenen Periodika, Sammelbänden und einem gewaltigen Ausstoß an einschlägiger Literatur hervorgebracht. Zu den prominentesten Autoren in dieser Grenzregion gehört der Augsburger Religionspädagoge (und nebenberufliche Krimiautor) Georg Langenhorst, der in der vorliegenden Veröffentlichung eine Zwischenbilanz dieser Forschungen zieht und die deutschsprachige Gegenwartsliteratur auf religiöse Themen, Motive und Sprachformen hin untersucht.

In einem ersten Kapitel setzt sichLangenhorstmit der umstrittenen Gattungsbezeichnung „Christliche Literatur" auseinander und referiert in diesem Zusammenhang die klassischen Positionen von Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar. Bei allen Unterschieden im Einzelnen sind beide Autoren bestimmt von einer vorgängig theologisch geprägten Weltsicht, die ihnen als Auswahl- und Urteilskriterium ihrer Untersuchungen dient. Eine neue Phase des Dialogs wird in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem von Paul Tillich eingeführten Begriff der „Korrelation" angestoßen, der sich im deutschen Sprachraum vor allem mit den Namen von Dorothee Sölle und Karl-Josef Kuschel verbindet und der einen literarisch kompetenten und religiös unprätentiösen Dialog zwischen Religion und Literatur eröffnet hat, dem auch Langenhorst verpflichtet ist. Seine Spurensuche im Gelände der Literatur betreibt er mit Sonden aus der Herzkammer religiösen Lebens: „Liturgie", „Transzendenz" und „Religionskritik". Mit ihnen durchforstet er die Gegenwartsliteratur, vor allem die Lyrik, wobei ihm unerwartet zahlreiche Funde gelingen, so dass er einen „religious turn" in der Gegenwartsliteratur zu erkennen glaubt. Vielfach handelt es sich um Autoren und Autorinnen, die auf eine kirchlich-religiöse Sozialisation zurückblicken, von der sie sich zwar gelöst haben, die aber Anstoß wird, sich aus kritischer Distanz erneut mit religiösen Fragen auseinanderzusetzen. Zu diesen Autoren gehören neben vielen anderen Ralf Rothmann, Hanns-Josef Ortheil, Hans Magnus Enzensberger sowie die weithin bekannte Lyrikerin und Erzählerin Ulla Hahn. Für Langenhorsts Fragestellung besonders ergiebige Autoren sind die Pfarrer-Schriftsteller Kurt Marti, Andreas Knapp und Christian Lehnert, die zwar im kirchlichen Raum beheimatet sind, sich aber durch intellektuelle Eigenständigkeit und formalen Anspruch ihrer Lyrik auszeichnen. Zu würdigen ist Langenhorsts große Belesenheit, die ihn zu Autoren und Autorinnen führt, die nicht im Focus der literarisch interessierten Öffentlichkeit stehen, außerdem sein Gespür für Qualität und der methodisch fachgerechte Umgang mit seinen Funden, der formale und inhaltliche Kriterien gleichermaßen berücksichtigt.

Die Untersuchungen laufen auf ein von religiösem Engagement getragenes Bekenntnis zur Poesie und Narration als Ursprachen religiösen Erlebens hinaus. Dabei wird ihm die Schweizer Dichterin und Ordensschwester Silja Walter zur Kronzeugin. Obwohl alle Rede von Gott unvollkommen und unbefriedigend bleibt, findet man bei Dichtern und Dichterinnen am ehesten lebendige und kreative Sprechversuche, die dem Zugang zur Transzendenz angemessener sind als die vielfach erstarrte, erfahrungsferne Formelsprache der üblichen Verkündigung. Da aber Sprache und Vorstellungswelt aufs Engste miteinander verknüpft sind, spitzt sich die Diskussion auf die Frage zu: Wie muss eine religiöse Sprache beschaffen sein, die die überlieferte Wahrheit des Glaubens bewahrt, gleichzeitig aber lebendig und kreativ ist wie die Sprache der Dichter?

Der Rezensent teilt diese Problemanzeige, sieht aber Schwierigkeiten in der Umsetzung. Denn Theologen sind in der Mehrzahl keine Poeten und die Kommunikation in Theologie, Verkündigung und Schule vollzieht sich notwendigerweise in der von Begriffen und syntaktischen Regeln bestimmten Normalsprache.

Religiöse Motive in der neueren Literatur
Freiburg: Herder Verlag. 2020
318 Seiten
38,00 €
ISBN 978-3-451-38604-6

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