Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerd Lindner (Hg.): Sakulowski. Weltbild

 

Ein irritierendes Titelbild voller emotionaler Wucht – besser gleich wegsehen oder doch hinschauen? Wer genauer hinsieht, wird mit dem Antlitz eines bärtigen Mannes konfrontiert, der ihn mit weit aufgerissenem Mund anzubrüllen scheint und mit beiden Augen, das rechte halb, das linke weit geöffnet, fixiert. Warum fletscht er seine Zähne? Ist er wütend – warum? Ist er empört – worüber? Quälen ihn Schmerzen – welche? Will er sein Gegenüber vertreiben – oder im Gegenteil seine Hilfe einfordern? Solche Uneindeutigkeiten fordern den Betrachter heraus – und lenken den Blick auf die außerordentliche Qualität der Zeichnung. Über dem Schreienden stehen die Worte „Sakulowski. Weltbild“: Wer ist „Sakulowski“ – und was meint „Weltbild“?

Horst Sakulowski ist Thüringer. 1943 in Saalfeld geboren, wächst er in einer protestantisch geprägten Familie auf und ist zehn Jahre als Sängerknabe aktiv. Er studiert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Bernhard Heisig von 1962 bis 1967 – in politisch wie künstlerisch sehr bewegten Zeiten. Nach seiner Heirat 1967 lebt und arbeitet Sakulowski als freischaffender Künstler in Weida und teilt mit der Leipziger Schule die Wertschätzung des künstlerischen Handwerks wie die Orientierung am Gegenständlichen und der menschlichen Figur. Als Vorsitzender der Sektion Malerei/Grafik des Verbandes Bildender Künstler im Bezirk Gera (1974-1989) geht es ihm um tragfähige Kompromisse zwischen offizieller Linie und künstlerischer Autonomie. Nach der Wende beginnt eine Phase der existenziellen Verunsicherung und der Selbstvergewisserung, die dem Werk neuen künstlerischen Schub verleiht. Die erste Ausstellung im Panorama Museum wird Sakulowski 1993 zum 50. Geburtstag ausgerichtet; in diesem Jahr wird der 75-Jährige mit einer umfänglichen Ausstellung und einem vorzüglichen, reich bebilderten Katalogbuch geehrt. Sein bildnerisches Werk umfasst Grafiken, Gemälde und Zeichnungen; hinzu kommen Plastiken und Videoarbeiten.

Sakulowskis Grafiken müssen erwähnt werden, weil sie voller verrätselter Bildideen stecken, die geradezu surrealistische Seelenlandschaften bilden – und belegen, dass ein Salvador Dali oder ein Max Ernst in der DDR nicht ohne Einfluss waren. Schade nur, dass der Künstler seine Radierarbeit in den 1990er Jahren beendete. – Anders verhält es sich mit der Malerei, die er bis in jüngste Zeit betreibt und etwa 40 Ölbilder entstehen ließ. Sein wohl bekanntestes ist das „Porträt nach Dienst“ (1975/76) und zeigt eine völlig erschöpfte Frau in einem Sessel, neben ihr eine Arzttasche, darüber schweben Telefone. Der Maler geht von einer subjektiven Erfahrung aus – den Belastungen seiner als Kinderärztin arbeitenden Frau – und verdichtet diese in einem Gemälde, in dem sich die Betrachter mit ihren Erfahrungen wiedererkennen können. Kein Wunder, dass dieses Bild in der DDR kontrovers diskutiert wurde, entspricht es doch so gar nicht dem Idealbild eines heroischen Arbeiters. – Zwei 2017 und 2017/18 entstandene Gemälde aktualisieren einen Themenkomplex, den Sakulowski bereits seit den 1970er Jahren verfolgt, den der „Kranken Muse“: Aus einem deformierten, von Kleiderfetzen kaum verhüllten Leib ragen grotesk aufgesteckte Finger mit spitzen, sorgfältig lackierten Nägeln heraus; der Leib und der eiförmige, gesichtslose Kopf sind von Wunden übersät. Mit solch drastischen Bilderfindungen kommentiert der Künstler die Verführbarkeit der Kunst und einen von Eitelkeiten und Profitgier aufgeheizten Kunstbetrieb.

Intensiv hat sich Sakulowski – nicht nur als Künstler – mit der Gestalt Jesus Christus befasst. Ein außergewöhnliches Ölgemälde ist ihm mit dem „Christophorus“ (1987) gelungen. Entstanden als öffentlicher Auftrag zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus thematisiert es den antifaschistischen Widerstand innerhalb der Kirchen und stellt das Urkommunismus und Urchristentum gemeinsame Ideal, dass der Mensch dem Menschen (nicht Wolf, sondern) Mensch sein sollte, in den Mittelpunkt. In tiefer Dunkelheit trägt ein an seiner Kleidung erkennbarer (politischer) KZ-Häftling einen fast nackten, an der Dornenkrone als Christus identifizierbaren Mann durch einen diffusen Morast. Ob dem Christusträger mit seiner Last die Flucht gelingen wird, bleibt offen; allerdings gibt der aus sich heraus leuchtende Christus einen dem Bild inhärenten Hinweis auf Transzendenz, christlich formuliert: auf Erlösung. Diese Hoffnung kann der Betrachter auch aus der – in der Tradition eines Grünewald stehenden – „Passion“ (2008) schöpfen. Die Würde, die beide Gemälde ausstrahlen, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sie in der Manier altmeisterlicher Lasurmalerei ausgeführt sind.

Seit vielen Jahren dominiert in Sakulowskis Werk die Graphit-Zeichnung. Es entstehen Werkgruppen, in denen die Schönheit vergänglicher Dinge gepriesen wird. In immer neuen Anläufen wird die menschliche Physiognomie in ihrer Verletzbarkeit und Verletztheit dargestellt wie auf dem Cover des Katalogs; es ist ein Ausschnitt aus einem „Selbstporträt“ (2008), das weniger als ein Porträt, eher als ein Kommentar des Künstlers zu der ihm ebenso im neuen politischen System begegnenden menschlichen Unvernunft und Niedertracht zu verstehen ist. Zudem entstehen Zeichnungen zu Engeln, Hiob, Christus oder Paulus, die auf eine zeitgemäße Weise Themen christlicher Kunst fortführen und die es für die Arbeit mit Bildern in Unterricht und Lehre noch zu entdecken gilt. So zeigt eine „Pietà“ (2014) nicht das Gesicht der Maria, sondern einen auf den getöteten Christus gerichteten Totenschädel voller Trauer – ein berührendes Beispiel dafür, wie der Zeichner die christliche Ikonografie fortschreibt.

Unter die Titel „Versuchung und Verführung“ sowie „Erlösung und Vergebung“ hat Sakulowski die beiden Teile seiner aktuellen Ausstellung gestellt; damit formuliert er – geleitet von der Maxime „Nach vorn schauen“ („Non finito“) – einen künstlerischen Beitrag zu einem die negativen wie positiven Seiten menschlicher Existenz umgreifenden „Weltbild“. Näheres findet sich in dem sehr informativen Beitrag von Gerd Lindner, der einen engagierten Überblick über das Oeuvre gibt – und der dem Rezensenten noch besser gefallen hätte, wenn auf manche gestelzten Formulierungen verzichtet worden wäre. Susanne Hebecker spürt „Spuren der Transzendenz“ am Beispiel von vier Zeichnungen nach; Johanna Huthmacher untersucht Physiognomie und Schrei im Werk Sakulowskis; Matthias Liebel zeigt, dass die als Ideenskizzen entstandenen Kugelschreiberzeichnungen einen eigenen Stellenwert besitzen. – Ausstellung und Katalog zeigen Werke eines bedeutenden zeitgenössischen Künstlers, der die ihm gebührende Aufmerksamkeit – jedenfalls in den alten Bundesländern – noch immer nicht genießt.

Zwickau: Förster & Borries Verlag. 2018
216 Seiten m. Abb.
33,00 €
ISBN 978-3-9380
49-37-2

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