Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Begrich: Exodus - Das 2. Buch Mose oder Der Aufbruch in die Freiheit

Neu übersetzt und erläutert


Die Widmung des Buches hat für mich eine Signalwirkung: „Joachim Begrich, Benno Jacob in quiam memoriam“. Joachim Begrich (1900-1945) begleitet mich mit seinen Büchern seit meiner Studienzeit (1960-1966): Er hat die „Einleitung in die Psalmen“ seines Lehrers Hermann Gunkel zu Ende geführt (1933), „Studien zu Deuterojesaja“ (1938; Nachdruck 1963) sowie „Gesammelte Studien zum Alten Testament“ (1967) veröffentlicht; er war ein Hoffnungsträger der protestantischen Bibelwissenschaft. Benno Jacob (1862-1945), einer der bedeutendsten jüdischen Bibelwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, begleitet mich mit seinem „Genesis-Kommentar“ (1934) und seinem „Exodus-Kommentar“ (1917) in meiner langjährigen Arbeit in der Lehreraus- und Lehrerfortbildung. 

In dem vorliegenden Buch „Exodus“ von Gerhard Begrich begegne ich der positiven Antwort eines protestantischen Bibel-Theologen auf die Wirkungen der jüdischen Bibelwissenschaftler Martin Buber, Franz Rosenzweig und Benno Jacob. Für mich bleibt Folgendes zu beachten: Benno Jacob übte in seinem „Genesis-Kommentar“ scharfe Kritik an der historisch-kritischen Bibelwissenschaft protestantischer Exegeten; ihren Hypothesen der Quellenscheidung stand er ablehnend gegenüber.

Begrich lässt sich in seiner Arbeit von mehreren Impulsen der jüdischen Exegese leiten. Er liest den biblischen Text synchron, d.h. er geht vom Endbestand des vorliegenden Bibeltextes aus, und fragt nicht diachron nach seinem möglichen Entstehungsprozess. Die diachrone Leseweise geht von Hypothesen aus: Sind sich die christlichen Exegeten eigentlich bewusst, mit wie viel vorgefasster Hypothese sie einen Bibeltext lesen und dadurch Inhalte überlesen?

Die Achtung vor dem überlieferten Text zeigt sich auch im Umgang des Autors mit dem Tetragrammaton JHWH. Im Buchtext heißt es: „ER, gelobt sei Sie“. Bei der Übersetzung mit „ER“ nimmt Begrich unausgesprochen Bezug auf die jüdische Bibelübersetzung von M. Buber / F. Rosenzweig. Beide „dynamisieren den Namen zu je anderer „ICH BIN DA“-Manifestation in Versalien als „DU, ER, ICH, DEIN, MEIN, SEIN“ (M. Brocke). Wie und weswegen der Verfasser zum „SIE“ kommt, wird im Buch nicht genau begründet. Ist es eine Referenz an die feministische Theologie?

Der Text des biblischen Buches Exodus soll als Ganzes wirken. Er wird weder nach historisch-kritischen Kriterien noch nach der synagogalen Leseordnung gegliedert. Trotz der Bibelübersetzung von Martin Luther wagt Begrich eine eigenständige Übersetzung, die dazu einlädt, laut gelesen zu werden: Das Geschriebene soll wieder zum gesprochenen Wort werden. Durch das gesprochene Wort kann in uns Hörern wieder eine Vertrautheit mit dem Bibeltext wachsen, z.B. beim lauten Lesen der Kapitel Ex 32 bis 34. 

Das Buch Exodus erzählt uns von der Geburt und dem Werden des jungen Israels aus biblischer Sicht. Im Mittelpunkt stehen die vielfältigen Erfahrungen mit dem Geschenk der Freiheit: Die Vision von Freiheit (Ex 3-4); das Ringen um Freiheit (Ex 5-11); das Geschenk der Freiheit (Ex 12-15), der Weg in die Freiheit (Ex 15-18), die Verantwortung der Beschenkten für das Geschenk der Freiheit (Ex 19-24), in und mit der geschenkten Freiheit leben lernen (Ex 25-40). Im biblischen Buch Exodus erfahren wir einerseits Gott als Geber und Erhalter der menschlichen Freiheit, der immer wieder befreit, und andererseits die Herausforderungen der Menschen durch diese geschenkte Freiheit.

In seinen „Erläuterungen“ (121-145) zu ausgewählten Versen oder Abschnitten des „Bibeltextes Exodus“ kommt der Autor nicht besserwisserisch oder rechthaberisch daher, vielmehr nehme ich wahr, dass jüdische Midraschim zur Erläuterung herangezogen werden.

Für mich als katholischen Christ ist das Buch von Begrich ein gelungener und vorbildlicher Versuch, bei aller bestehenden Verschiedenheit, in ein fruchtbares Bibelgespräch zwischen Juden und Christen einzutreten. Des Weiteren kann das Buch dazu anstoßen, in den Exodus-Kommentaren von Benno Jacob (Stuttgart 1997), Georg Fischer / Dominik Markl (Stuttgart 2009), Reiner Albertz (Zürich 2012) oder Christoph Dohmen (Freiburg 2015) weiterzulesen.

Stuttgart: Radius Verlag. 2016
145 Seiten
16,00 €
ISBN 978-3-87173-012-2

 

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