Gerhard Begrich: Numeri

Gerhard Begrich hat in seiner altbewährten Weise, die theologisches Wissen im Blick auf praktisch-seelsorgerliche Anforderungen sorgsam auswählt, im vergangenen Jahr die Übersetzung und Kommentierung eines weiteren Pentateuchbuches, diesmal des Buches Numeri, herausgegeben. Neben den traditionellen Titeln „Numeri“ bzw. „4. Buch Mose“ bietet Begrich auch hier im Untertitel einen eigenen Titelvorschlag an: „zwischen Verzweiflung und Hoffnung“. Damit lässt er schon etwas von dem erkennen, worin er die wesentliche Aussage dieses Buches sieht, das die Wüstenwanderung nach der zentralen Sinai-Episode weiter fortsetzt und dabei den Einzug ins gelobte Land in immer weitere, aus Sicht des Buches unerreichbare Ferne rückt.

Auf folgende alte und neue Übersetzungsgewohnheiten sei aufmerksam gemacht: der besondere Gottesname, in klassischen Übersetzungen gerne mit „der Herr“ übersetzt, wird vom Autor in geschlechter-gerechter Weise als: „ER, hochgepriesen sei Sie“ wiedergegeben. Bei einer Selbstvorstellung Gottes in der 1. Person wird es dann zu: „Ich bin der ‚Ich bin da‘“, unter Aufgreifen der in Ex 3,14 gegebenen Namenserklärung. Das als Schilfmeer bekannte, historisch nicht mehr lokalisierbare Meer wird durch eine kleine Vokalveränderung im hebräischen Masoretentext zum „Meer am Ende“. Das Offenbarungszelt erscheint hier als „Zelt der Begegnung“, die Bundeslade als „Lade der Bezeugung“. Die Gottesbezeichnung El Schaddai wird als „Allernährerin“ wiedergegeben aufgrund von Anklängen an ein ähnlich klingendes Wort für die weibliche Brust (andere denken an die Bedeutung „Feld“ und die damit verbundene nomadische Lebensweise). Dafür behält der Übersetzer in anderen Fällen auch klassische Wiedergaben, wie „Engel“ für den „Malach“ und „Geist“ für die „Ruach“ bei. Man kann sich der Ausgabe in unterschiedlicher Weise widmen. Entweder man liest die Übersetzung gewissenhaft von Anfang bis Ende durch, um den Zusammenhang vor Augen zu haben, und nimmt zu den entscheidenden Stellen den hinten angefügten Kurzkommentar hinzu. Oder aber man beginnt gleich beim Kommentar, liest aus ihm die wichtigen Themen heraus und dann im Nachhinein die zugehörigen Textstellen genauer nach.

Das Buch Numeri enthält neben vielem Befremdlichen (lästige Aufzählungen, strenge Gesetze, ein grausamer Krieg) manche ergreifenden Texte, die sich nur hier finden: obenan sicherlich die drei gewaltige Kapitel (22 bis 24) umfassende Erzählung des fremdstämmigen, aber Israel segnenden Sehers Bileam – in Begrichs Umschrift „Bilam“. Sie bietet sich zur Verwendung im Schulunterricht für eine ganze Menge von Themen an: z.B. für das leider wieder aktuell gewordene Thema des Antisemitismus und einen angemessenen Umgang damit. Aber auch Themen wie die Beziehung zwischen Mensch und Tier bzw. Schöpfung, die Bedeutung von Prophetie, das Hören auf die Stimme des Gewissens, die Unbeirrbarkeit gegenüber Versuchen von Beeinflussung und Manipulation gehören hierher.

Das Stichwort Prophetie in seiner umfassenden Bedeutung schlägt die Brücke zu der zur Entlastung des Mose und zur Aufteilung seiner Vollmacht vorgenommenen Bestellung der 70 Ältesten, die zeitweilig in prophetische Begeisterung geraten und Mose zu dem auch für uns Zukunftsmusik bleibenden Wunsch veranlassen: Könnte doch das ganze Volk andauernd aus Propheten bestehen (vgl. Num 11,29). Weitere unterrichtsrelevante Themen sind: die Durchbrechung von Vorurteilen, wenn die Ehe des Mose mit einer Kuschiterin gutgeheißen und gegen Kritik in Schutz genommen wird (Num 12), sowie die ausdrückliche durch die Schöpfungsordnung grundgelegte Gleichheit aller Menschen (Num 15,15-16).

Besonders bemerkenswert ist, wie der Kommentator dem Wiederstreben und Aufbegehren des Volkes einen positiven Sinn abzugewinnen vermag. Indem Gott immer wieder die Menschen dazu herausfordert, testet er ihre inneren Möglichkeiten aus, erfährt, was er an ihnen hat, und lässt sich, wie es in Num 20,13 heißt, gerade dadurch von ihnen heiligen. Ein solches Thema könnte gerade im Religionsunterricht an Schulen zur Aufarbeitung des Schulalltags eine besondere Brisanz erhalten, aber ebenso das Tor zu manchen religionspolitischen Diskussionen aufstoßen.

Das 4. Buch Mose oder Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
Stuttgart: Radius Verlag. 2019
132 Seiten
15,00 €
ISBN 978-3-87173-515-8