Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Lohfink: Ausgespannt zwischen Himmel und Erde

„Ausgespannt zwischen Himmel und Erde“: Der Titel dieses Buches des bekannten Neutestamentlers Gerhard Lohfink umschreibt treffend nicht nur den grundlegenden Standpunkt eines jeden Glaubenden zwischen der Erfahrung des Himmlischen und der festen Verwurzelung in allem Irdischen. Er passt zur inhaltlichen Weite der insgesamt siebzig kleinen Beiträge zu oft prominenten biblischen Texten, die über mehrere Jahre hinweg in verschiedenen Kontexten entstanden sind.

Der Autor bündelt die Vielfalt der angesprochenen Aspekte unter drei großen Überschriften: Teil I („Grundlegendes“) entfaltet die Eckpfeiler des christlichen Welt- und Menschenbildes auch vor dem aktuellen pandemischen Hintergrund von COVID-19 im Bogen von Schöpfung, Geschichte und Vollendung, von Gottes- und Christuserfahrung, von Schuld und Erlösung. Der rote Faden von Teil II („Festzeiten und Feste“) ist das „Gesamtkunstwerk“ (168) des Kirchenjahres. Lohfink erschließt die Tiefendimensionen der Advents- und Weihnachtshoffnung und radikalisiert die guten Fastenvorsätze zum Umkehrruf. Die Emmauserzählung liest er als Geschichte wider den Glaubens-Burnout und plädiert für die gattungsgemäße bildlich-theologische Deutung der Himmelfahrtsgeschichte. Die internationale Dimension der christlichen Gemeinschaft kommt sowohl in den Auslegungen der Pfingsterzählung als auch bei der thematischen Verknüpfung gegenwärtiger Christenverfolgung mit dem Ursprung von Allerheiligen zur Sprache. Und mit dem Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen wird zum Ausklang des Kirchenjahres die müde Christenheit angefragt: „Brennen unsere Lampen?“ (235)

Unter dem Titel „In der Freude des Glaubens“ spiegeln in Teil III eine Reihe von Beiträgen Lohfinks Vision eines frohen und gelingenden Christseins wider, welches für ihn schlechthin undenkbar ist ohne die Einbettung in eine lebendige Gemeinde. Am Beispiel der Bergpredigt, mit Bezug auf Berufungserzählungen oder auf paradigmatische Gestalten wie Maria und Marta, legt er dar, was Jüngerschaft Jesu für ihn bedeutet. Ihm ist es dabei wichtig zu betonen, dass Nachfolge auch heute die Horizonte bürgerlichen Denkens sprengt, dass sie nie harmlos und immer herausfordernd ist. Manchmal zwischen den Zeilen, an einigen Stellen bewusst thematisiert stehen die krisenhaften Erfahrungen von Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends im Hintergrund der Überlegungen. Der Autor betont mehrfach, dass bei allen anstehenden Fragen nach Veränderungen und Reformen die Leitschnur das Hören auf das Evangelium selbst sein sollte.

Lohfink schreibt nicht primär für ein Fachpublikum, sondern für einen breiteren Adressatenkreis. Er schöpft in all seinen oft predigtähnlichen Ausführungen aus seiner reichen exegetischen Expertise, dies geschieht in verständlicher Sprache und stets mit Bezug auf die aktuelle Lebenswirklichkeit. „Glaube“ ist ein Schlüsselbegriff, und der Grundton ist von großer Entschiedenheit. Stark betont wird die kirchliche Anbindung christlichen Glaubens. Nicht umsonst findet sich im Anhang neben einem Verzeichnis aller Schriftstellen ein Überblick über die Verortung der einzelnen Bibeltexte in der katholischen Leseordnung. Auf diese Weise kann Lohfinks Textsammlung Inspiration sein nicht nur für individuelle Einzelleser, sondern ebenso für die liturgische Gestaltung im Leben der Kirche.

Große Bibeltexte neu erkundet
Freiburg: Herder Verlag. 2021
406 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-451-38810-1

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