Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Lohfink: Das Geheimnis des Galiläers

Gerhard Lohfink will in einem fiktiven Nachtgespräch mit dem wissbegierigen, mitdenkenden Herrn Westerkamp, dem Repräsentanten seiner vielen treuen Leser, den wahren Anspruch Jesu aufweisen. Dieser bilde nämlich die verlässliche Basis des urchristlichen Kerygmas und der kirchlichen Christologie. Damit tritt der Autor der in der gegenwärtig wieder aufgenommenen liberalen Auffassung von der Vergottung Jesu ebenso entgegen wie dessen Verharmlosung in aktuellen Jesusbildern, z.B. als Heiler, Dichter oder religiöser Lehrer (Vorwort).

Zuversichtlich stellt Lohfink nach kurzem „Vorgeplänkel“ (1. Kapitel) schon am Anfang des Gesprächs heraus, dass im „Gestrüpp der Jesusforschung“ (2. Kapitel) festzuhalten sei: Die vier kirchlichen Evangelien berichten zuverlässig von Jesus und bringen zugleich sein Geheimnis zum Ausdruck. Mit dem titelgebenden Wort ist die Frage nach dem wirklichen Jesus und der neutestamentlichen Überlieferung gestellt. Dabei führt der Autor die Wucht und Schönheit vieler Jesuslogien vor Augen, die er als gestanzt und provozierend bezeichnet, weshalb sie exakt und wortgetreu hätten weitergegeben werden können. Sie dienten Jesus ebenso wie die als Urgestein bezeichneten Gleichnisse (4. Kapitel) dazu, seine Botschaft vom Reich Gottes anschaulich und adressatenbezogen zu proklamieren: Die Gottesherrschaft stehe als das große Thema im Zentrum seines Auftretens. Die Erzählungen über das Handeln Jesu (5. Kapitel) enthielten zwar notwendig theologische Deutung, blieben aber nahe am historischen Geschehen und könnten auf die Erinnerungen von Augenzeugen zurückgehen.

In der ausführlichsten Passage seines Buches (6. Kapitel) charakterisiert der Verfasser die Botschaft Jesu von der Herrschaft Gottes und der Sammlung Israels zum Gottesvolk einprägsam durch sieben verschiedene Spannungsbögen wie z. B. schon da, aber noch nicht vollendet; Hinwendung zu Israel, aber Offenheit zu den Völkern (Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion); Liebe und Barmherzigkeit Gottes des Vaters, aber der Adressat könne sich verweigern, was ihm zum Selbstgericht werde; Bewahrung des Alten, aber doch werde alles neu. Letzteres vertiefen und veranschaulichen die Gesprächspartner mit Bezug auf die Einstellung Jesu zur Thora. Jesus lege die Thora wie der göttliche Gesetzgeber aus und spreche damit indirekt wirklich so, als stehe er an Stelle Gottes. Hier werde das Geheimnis des Galiläers (7. Kapitel) ausgesprochen, zu dem sich die Gesprächspartner auf ihren nächtlichen Weg gemacht hätten: Denn Jesus habe die Gottesherrschaft nicht nur proklamiert und vergegenwärtigt, er verkörpere sie. An Jesus könne man sehen, wer Gott sei und was er wolle.

Die in diesem Zusammenhang aufkommende Frage seines Gesprächspartners nach den neutestamentlichen Hoheitstiteln will der Theologe bewusst ausklammern, spricht aber über das Hoheitsbewusstsein Jesu. Interessante, plausible Ausführungen dazu beziehen sich auf Jesu Fremd- und Selbstbezeichnung als Messias und Menschensohn. Wichtiger allerdings ist es Lohfink, sich auch in diesem Zusammenhang auf einprägsame Logien aus der Botschaft Jesu zu beziehen: Überraschend und unvorhergesehen breche Jesus in gewohnte Lebenszusammenhänge ein. Es gehe ihm um das Feuer der Gottesherrschaft, Jesus wolle entflammen und begeistern. In Jesu fast anmaßendem Anspruch liege die Basis der Christusverkündigung der Zeugen mithilfe unterschiedlicher Deutungskategorien aus dem Alten Testament.

Auf die Frage seines Gesprächspartners nach seiner Verbundenheit mit Jesus Christus und der kirchlichen Glaubensgemeinschaft antwortet der Verfasser mit einem kurzen autobiografischen Bezug und bekennt sich zu Jesus, der einzigen belastbaren und Hoffnung schenkenden Antwort auf die Situation unserer Welt.

„Das Geheimnis des Galiläers“ bezieht den theologisch interessierten Leser ein in ein ausführliches und spannendes Nachtgespräch und macht auf etwas Wichtiges aufmerksam: So wichtig alles Reden über Jesus auch ist, gelte es, auf ihn zu hören und daraus in der Freude des Glaubens zu handeln, denn nur im Tun lässt sich erkennen, wer Jesus ist.

Gegen Ende weist der Autor darauf hin, dass ein wichtiges Thema nur kurz erwähnt wurde, die Beziehung Jesu zu Gott, dem Vater, den er in seinem Gebet als seinen Abba angeredet habe. Die Anregung an Gerhard Lohfink, in seinem nächsten Buch darüber zu schreiben, unterstreicht meinen Dank für sein außergewöhnliches Nachtgespräch über Jesus von Nazareth.

Ein Nachtgespräch über Jesus von Nazaret
Freiburg: Herder Verlag. 2019
278 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-451-38270-3

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