Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Lohfink: Die vierzig Gleichnisse Jesu

Bitte, bitte – erzähl mir eine Geschichte …! So lernen Kinder die Welt kennen und verstehen: in Geschichten, die den schlichten Alltag ebenso umfangen wie die tiefsten Wahrheiten. Und vielleicht hört es nicht auf, dieses Lernen, wenn Menschen erwachsen geworden sind. Sie betteln dann nur nicht mehr so ungeschützt um die nächste Geschichte.

Die Menschen um Jesus herum lernten durch ihn und seine Geschichten eine neue Sicht auf die Wirklichkeit. Er spricht darin über Alltag und Fest, über Sorgen und Nöte, Normales und Außergewöhnliches – wie im echten Leben. Die insgesamt vierzig Gleichnisse Jesu finden sich eingefügt in die Texte der Evangelien. Klingt trivial? Nur auf den ersten Blick, denn die jeweilige Rahmung ist selbst schon ein Stück Auslegung. Gerhard Lohfink bemüht das passende Bild vom Edelstein (dem Gleichnis) und der Edelsteinfassung (dem textlichen Rahmen im Evangelium), die den Stein hervorhebt, hält, bewahrt und schützt.

Das Buch besticht durch eine lehrreiche Realienkunde über die sozialgeschichtlichen Hintergründe, damalige Wohnverhältnisse, Wein- und Ackerbau. Endlich wird einmal verständlich erläutert, wieso manche Saat hundertfache Frucht bringt, und dies keinesfalls eine nur sprachliche Übertreibung ist, sondern das Landwirten bekannte Phänomen der „Bestockung“ aufgreift. Nahezu unbemerkt und mühelos wird die exegetische Diskussion der letzten Jahrzehnte durch kleine hilfreiche Hinweise in die Einzelauslegungen der 40 Gleichnisse eingespeist. Da beherrscht einer sein Handwerk.

An vielen Stellen nimmt der Autor die Leserinnen und Leser an die Hand und lehrt sie den ausdauernden Blick auf wirklich jedes Wort des Textes, ob unscheinbar, ob überraschend. Strukturmerkmale werden befragt, Bezüge zu anderen biblischen Stellen offengelegt, mit Hilfe eigener Herzensschau erhält man Anregungen nachzudenken, ob das ein oder andere Wort stimmig ist, und wenn nicht, wohin die Überlegung lenken will: „Liebt“ man einen Geldverleiher, der einem die Schuld erlässt? – Welche Assoziationen klingen eigentlich an? (96)

Die Bildwelt der Gleichnisse ist prall und bunt, es gibt das Drinnen und das Draußen, das Nahe und das Ferne. Wir erleben die Natur und die Gesellschaft, verarmte Pächter und mächtige Großgrundbesitzer, die harte Arbeit im Weinberg unter glühender Sonne wie auch den festlichen Brautzug der Jungfrauen mit ihren Lampen zur Hochzeit.

Gerhard Lohfink wagt das Urteil, aus der antiken Welt seien von keinem anderen Erzähler so viele authentische Gleichnisse erhalten wie von Jesus von Nazareth. Zugleich rührt er damit an den neuralgischen Punkt: Haben wir in den Gleichnissen ursprüngliche Überlieferungen und damit „Logien“, also Herrenworte. vor uns? Ohne Ausnahme haben sie das Kommen der Gottesherrschaft zum Thema. Und die ereignet sich nicht in einer fernen Zukunft, sondern jetzt. Wenn Jesus in seinen Gleichnissen vom Reich Gottes redet, spricht er zugleich über sich selbst. Die Jesusgleichnisse verlieren ihre Spannung und ihren Sitz im Leben, wenn man in ihnen und hinter ihnen nicht den ungeheuren Anspruch Jesu wahrnimmt. Er selbst bringt die Gottesherrschaft herbei. Wer seinem Wort glaubt, tritt ins Reich Gottes ein.

Aus den Seiten des Buches von Gerhard Lohfink quillt die pure Erzählfreude hervor. Sie spiegelt die Lust, die der Autor an der „bewundernswerten Erzählkunst“ des Jesus von Nazareth gefunden hat. Und deshalb soll der Verfasser des anregenden Buches hier mit seinem eigenen Fazit über die Gleichnisse Jesu das letzte Wort behalten: „Fast jedes Gleichnis entbirgt uns – diskret und verborgen – das Geheimnis Jesu selbst.“ (13)

Freiburg: Herder Verlag. 2. Auflage 2020
320 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-451-38670-1

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