Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Mevissen: Perlen Weinen. Neue Zurufe

Der Titel „Perlen Weinen“ irritiert: Können Perlen weinen – oder können Perlen geweint werden? Und was sind „Zurufe“? Wird jemandem etwas zugerufen – oder ruft jemand etwas zu? Werfen wir zunächst ein Blick auf den Werdegang des Autors.

Der 1956 geborene Gerhard Mevissen studierte Theologie, machte eine sozialpädagogische wie kunsttherapeutische Ausbildung und arbeitete in der Jugendarbeit; seit 1999 ist der verheiratete Vater von fünf Kindern freier Künstler und lebt in der Eifel nahe Monschau. Hervorgetreten ist er in zahlreichen Ausstellungen vornehmlich als Maler abstrakter Aquarellbilder, die über einen längeren Zeitraum hinweg durch weitere Eingriffe „heranwachsen“. Mevissens Bilder entstehen aus der Stille und haben die Stille zum Thema; er versteht sich selbst als „kontemplativer“ Maler. Einen weiteren und inzwischen kräftigen Zweig seiner künstlerischen Tätigkeit bilden die „Zurufe“, die er monatlich auf der Internetseite www.gerhard-mevissen.de publiziert. Die vorliegenden „Neuen Zurufe“ – einen ersten Band hat er 2016 veröffentlicht – enthalten 46 zwischen 2016 bis 2020 entstandene kurze, verdichtete Texte, die in ihrer Form sehr an Gedichte erinnern. Gestalterisch ist das Buch eine wahre „Perle“, denn die „Zurufe“ des Schriftstellers schweben gleichsam auf den vielfarbig changierenden Bildausschnitten des Malers; hinzu kommen sieben ganzseitig abgebildete Aquarelle.

Der „Zuruf“ „Flussperlmuschel“ (2019) und das Aquarell „Perlen Weinen“ (2020) beantworten die erste Frage. Text wie Bild beziehen sich auf ein faszinierendes Naturphänomen: Die Perlmuschel ummantelt über Jahre hinweg etwas Störendes – etwa ein in sie eingedrungenes Sandkorn – mit Perlmutt und erzeugt so eine Perle. Eine schimmernde Perle mit vielfältigen Ummantelungen ist auch auf dem Aquarell zu entdecken. Mevissen überträgt dieses natürliche Geschehen ins Menschliche: „Das Muschelwesen lagert es [was nicht zu ihr gehört, Th.M.] ein / in seinem Durchströmtwerden, / gleich den zartfühligen Menschen: / Sie speichern ihre innere Flut, / kristallisieren sie und weinen sie als Perle.“ (11) So kann sich Widerständiges in etwas Bereicherndes, ja Schönes verwandeln.

Die „Zurufe“ im Kontext von Natur bilden einen Schwerpunkt des Bandes: Der Verfasser belauscht die Vögel und schaut mit offenen Augen auf das Erwachen der Natur im Frühjahr und auf den kahlen Baum im Winter. In „Quarantäne“ (68 f) thematisiert der Künstler seinen Umgang mit der Corona-Pandemie. Mehrfach denkt er über das Bildermalen und das Bilderbetrachten nach: Bildermalen ist ihm kein Bilder-Machen, entstehen die Bilder doch in „einer Stille, die ihre Saatkörner in meine Zeit wirft“ (34). Die realisierten Bilder warten dann „auf offene Augen …, / auf ein Schauen voller Empfangen, / aufmerksam für Geschenke / des Einfachen.“ (53) Überträgt man diese Gedanken zum Bildermalen auf die „Zurufe“, lässt sich auch die zweite Frage beantworten: Zwar sind sie wie Gedichte gestaltet, sie verdanken sich aber einem Zuruf aus der Stille, der dann seinen Lesern weitergegeben – zugerufen – wird.

In den „Zurufen“ wird das Wort Gott vermieden – selbst in den drei Psalmen, die sich allesamt an ein „Du“ richten. So heißt es: „Ich trage / meine Nacht / in Deine Nähe, // halte sie hoch, // in dem Sehnen / dass sie licht werde.“ (40) Dieser Psalm ist ganz offensichtlich ein Gebet, sein Adressat – freilich nicht ausdrücklich genannt – kein gleichgültiger, sondern ein am Wohl seiner Geschöpfe interessierter Gott. – Ob nun Gebet oder bedeutungsoffener „Zuruf“: Gerhard Mevissens Text-Bild-Buch „Perlen Weinen“ ist eine Einladung, einmal auf Abstand zum hektischen Alltagsgetriebe zu gehen, um in der Stille – vielleicht – einen unvermuteten Zuspruch zu vernehmen.

Edition Künstlerbuch M Nr. 2
Monschau im Selbstverlag bei Gerhard Mevissen. 2020
78 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-00-065239-4

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