Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gudula Frieling: Christliche Ethik oder Ethik für Christen?

Die Universalität christlicher Ethik auf dem Prüfstand

Gudula Frieling hat ein seltsames Buch geschrieben. Ausgangspunkt ist ihre Empörung über die zähen und wenig Fortschritte verheißenden internationalen Klimakonferenzen. Sie entrüstet sich nicht nur über die Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, eine adäquate Strategie gegen die Klimaerwärmung zu verabreden. Es ist vor allem das Machtungleichgewicht zwischen den Industrie-, den Schwellen- und Entwicklungsländern, in dem sie – zu Recht – den wesentlichen Hemmschuh der Klimakonferenzen erblickt. Ihre moralische Kritik richtet sich auf die Weigerung der Industriestaaten, eine radikale Abkehr vom ressourcenverbrauchenden westlichen Lebensstil vorzunehmen, womit diese die Entwicklungsländer – und vor allem deren arme Bevölkerungsschichten – den katastrophalen Folgen der Erderwärmung preisgeben. Anstatt nun, wie man vielleicht erwarten würde, eine Studie zur Umweltethik und den alternativen Wegen der Klimapolitik zu verfassen, hat Frieling ein fundamentalethisches Buch geschrieben. 

Theologisch erkennt sie nämlich die Wurzel für den mangelnden Einsatz der Christen für die Armen im globalen Süden im Universalitätsanspruch der christlichen Ethik: Das Anliegen der modernen christlichen Ethik, einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Ethikdiskurs dadurch zu leisten, dass eine vernunftgetragene ethische Argumentation entfaltet wird, sieht sie als grundlegende Verirrung an. Die biblische, prophetische Dimension und vor allem die Option für die Armen gingen damit verloren. Der Vernunftanspruch der christlichen Ethik führt zur Anpassung an den westlichen Mainstream und einen Diskurs, in dem die Armen nicht vorkommen, so dass letztlich alles beim schlechten Alten bleibt. Christliche Ethik, so die These ihres Buches, müsse hingegen Position beziehen und damit notwendig einseitig sein, nämlich auf der Seite der Armen. Damit richtet sie sich konsequenterweise nicht mehr an grundsätzlich alle Menschen „guten Willens“, sondern ist eine prophetische Ethik von und für Christen. Deren Gläubigkeit erweist sich dann in ihrer Orthopraxie, was für Frieling gleichbedeutend ist mit dem Einsatz für die Abschaffung des global im Westen konzentrierten Reichtums und die unbedingte Orientierung an der Verbesserung des Lebens der weltweit Ärmsten.

Diese Sichtweise entfaltet die Verfasserin in sechs Kapiteln. Nach dem Einleitungskapitel kritisiert sie Günthör, Böckle und Ernst als Vertreter der universal-vernünftigen theologischen Ethik und konfrontiert diese mit Sobrinos befreiungstheologischer Christologie. Deren Option für die Armen bildet die Basis für das Gegenmodell der prophetischen, positionellen Ethik. Diese wird dann in den folgenden drei Kapiteln erst systemtheoretisch auf die Moderne bezogen und dann theologisch – vor allem soteriologisch – und eng an biblischen Bezügen dargelegt. Dabei muss stets die „autonome Moral“ der drei kritisierten Theologen als Gegenmodel herhalten, das an Radikalität und Christlichkeit hinter dem befreiungstheologischen Impetus zurückbleibt. Im Schlusskapitel wird der theologischen Ethik erneut Versagen und uneingestandene Komplizenschaft mit dem industriellen Kapitalismus vorgeworfen, der die Ärmsten zu Opfern des Klimawandels macht. Die positionelle christliche Ethik orientiert sich stattdessen an der Reich-Gottes-Vorstellung und mündet in Widerstand gegen den Kapitalismus.

Das Buch lässt etwas ratlos zurück. Nicht nur ist es langwierig zu lesen, weil alle Autoren auf hunderten Seiten minutiös dargelegt und kommentiert werden. Es wäre mühelos um die Hälfte zu kürzen gewesen und hätte dann eine fundamentalethische Studie zu Sobrinos Befreiungstheologie und deren Relevanz für die Klimapolitik abgeben können. So aber empfindet man es als ziemlich unfair, Vertretern der autonomen Moral Versagen in der Klimaethik vorzuhalten, was definitiv nicht deren Thema ist, zumal die theologisch-ethische Diskussion zur Umwelt- und Klimaethik – etwa die Arbeiten von Lienkamp und Vogt – souverän ignoriert werden. 

Schließlich bleiben jene Fragen offen, die jeglicher Befreiungsethik zu stellen sind, nämlich welche Rolle die Armen für sie eigentlich spielen. Deren Stimmen kommen nämlich gar nicht vor – sieht man einmal von (ausgerechnet) Hugo Chavez ab, den Frieling als Vertreter der Armen Lateinamerikas beklatscht. Eine Klimaethik, die aus der Sicht der Armen erfolgt, müsste sich aber damit auseinandersetzen, ob deren Interessen eindeutig und untereinander konfliktfrei sind, ob ihnen mit der Deindustrialisierung des Westens wirklich gedient ist, welche Wirtschaftsordnung an die Stelle des „Kapitalismus“ eigentlich treten soll und ob diese dann auch noch positive Folgen für die Erderwärmung hätte. Das bleibt hier alles offen und wird durch ein Radikalitätspathos ersetzt, das letztlich niemandem weiterhilft. 

Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2016
596 Seiten
49,95 €
ISBN 978-3-7917-2834-6

 

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