Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans-Joachim Höhn: Gottes Wort – Gottes Zeichen

Dem Autor geht es darum, den christlichen Glauben zu verstehen und rational zu verantworten. Bei dessen Vermittlung muss den Glaubenden das vernunftgemäße Verstehen ihrer Botschaft wichtiger sein als deren fromme Bezeugung. Die intellektuelle Redlichkeit ist jedoch eine spirituelle Tugend. Auf einem hohen philosophischen, sprachtheoretischen und theologischen Niveau stellt Höhn die Frage nach der Korrelation zwischen der Glaubensüberlieferung und der Lebenswirklichkeit des Einzelnen in der heutigen säkularen Gesellschaft, die im Denken, im Verhalten und in der Sinnorientierung auch ohne Gott auskommt.

Den Einstieg (Kapitel I) bildet die Frage, was das Leben, den Glauben und die Theologie bedeutsam macht. Die Sinnfrage, was es mit dem Menschen im Letzten auf sich hat, ist aus naturalistischer Perspektive falsch gestellt. Diese stellt die Belanglosigkeit des menschlichen Lebens fest. Dagegen steht die Frage, inwieweit der Glaube das dementieren kann. Damit rückt in den Brennpunkt, welchen Beitrag die Theologie dazu leistet, den Glauben und das Leben zu verstehen. Es geht um eine daseinsbezogene Hermeneutik des Glaubens. Dessen Bedeutung soll den Glaubenden, den Zweiflern und den Gottlosen einleuchten, ohne dass Letztere ihn teilen müssten. Es lässt sich zeigen: Theologische Überlegungen sind anschlussfähig an aktuelle Diskussionen und die Daseinsfragen der Zeitgenossen. In der säkularen Situation ist so vom christlichen Glauben zu sprechen, dass seine Bedeutung für das Dasein sowie die sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen in den Blick kommen, die auf Gott hinweisen können. Eine existentiale Semiotik des Lebens und des Glaubens ist dazu notwendig. Der Bezug auf eine solche Zeichentheorie macht deutlich: Zwischen der menschlichen Grundsituation und den Bedingungen, unter denen der Einzelne seinem Dasein Bedeutung zuspricht, besteht eine Entsprechung.

In Kapitel II stehen die existentialen Aspekte im Vordergrund. Das Leben wird als Dasein in Beziehung verstanden. Es gehört dazu, mit Begrenzungen, auch mit der eigenen Endlichkeit, umzugehen. Dies geschieht aktuell häufig nicht religiös. Man muss dazu also nicht religiös sein müssen, aber religiös sein können angesichts der Frage, ob man das eigene Leben im Ganzen annehmen kann, trotz des kategorisch Unannehmbaren im Einzelnen.

Beim Verstehen der Existenz und des Glaubens kommen kulturell geprägte Lebenszeichen in den Blick. Es geht beim „semiotic turn“, der Hinwendung zur Zeichentheorie in der Glaubensreflexion (Kapitel III), darum, kulturelle, religiöse Sinnwelten zu befragen. Diese stellen eine Partitur dar, sich in der Welt zurechtzufinden, sie zu deuten, dem Dasein Bedeutsames zu- oder abzusprechen. Aus mehreren Gründen ist es notwendig, eine solche Zeichentheorie zu entfalten. Denn: Konfrontiert mit dem Problem der Daseinsakzeptanz, äußert der Glaube sich in Zeichen, Symbolen und Riten; durch eine existentiale Semiotik können Vollzug und Gehalt christlicher Überzeugung verständlich gemacht werden. Außerdem ermöglicht die existentiale Semiotik, zu analysieren, was Nichtchristen am Glauben nicht verstehen. Ihre Verständnisschwierigkeiten und Missverständnisse zu verstehen, erleichtert das Gespräch über den Glauben mit ihnen und dessen Verkündigung. Schließlich offenbart die Sprache, dass jeder notwendig auf den anderen bezogen ist.

Entscheidend für Höhns weitere Darstellung: Die existentiale Semiotik, verknüpft mit der relationalen Ontologie, kann sich als das Mittel erweisen, um den Zeitgenossen die christlichen Glaubensinhalte rational plausibel zu machen. Die Verknüpfung anthropologischer und zeichentheoretischer Überlegungen stellt den Schlüssel dazu zur Verfügung. Dieser schließt den Zeitgenossen die Glaubensüberlieferung neu auf.

Die folgenden Kapitel zeigen und konkretisieren das: Die existentiale Semiotik wird als Verstehensschlüssel auf Schöpfungstheologie (Kapitel IV), Christologie (Kapitel V), Sakramententheolgie (Kapitel VI) und Eschatologie (Kapitel VII) bezogen. Darüber hinaus dient Höhns Konzept der existentialen Semiotik der Zeitdiagnose (Kapitel VIII) und ermöglicht in unterschiedlichen Hinsichten die Auseinandersetzung mit den „Zeichen der Zeit“.

In einem abschließenden Rückblick expliziert Höhn, dass die existentiale Semiotik ein zusammenhängendes Ganzes, eine systematische Theologie ergibt. Mit ihren Koordinaten Existenz und Sprache stellt dieses Konzept die plausible Zuordnung von Glauben, Leben und Denken dar. Dadurch, dass sie philosophische Reflexionsformate rezipiert, leistet diese Verstehensperspektive eine religionsinterne Religionskritik.

Durch Höhns Konzept der existentialen Semiotik im Horizont relationaler Ontologie wird die Deutung des Daseins aus dem Glauben für religiöse und nicht religiöse Zeitgenossen relevant. Exemplarisch möchte ich das an Ausführungen des Autors zur Schöpfungstheologie konkretisieren: Weder ein Seiendes noch das Nichts ist Gott philosophisch zu verstehen als der Unterschied zwischen Sein und Nichts. Gott konstituiert alles, was ist. Das Geschaffene existiert relational in restloser Bezogenheit auf wie zugleich in restloser Verschiedenheit von Gott. Alles, was ist, steht in Gottes wirksamem Schöpferwort. Das Schaffen Gottes beinhaltet sein Schöpfungsversprechen. Lebensstiftend und todüberwindend bleibt Gott jedem Einzelnen zugewandt. Mehr braucht er in der Schöpfung für sein Geschöpf nicht zu tun. Gott sagt unbedingt Ja zu jedem Einzelnen. Aufgrund der bedingungslosen Zuwendung Gottes kann dieser sich selbst annehmen. Jeder hat seinen Wert und seine Würde, unabhängig davon, was er besitzt, leistet und hervorbringt. Die damit gegebene theologische Sozialkritik hat als Maßstab eine relational geprägte Gesellschaftsordnung. Im Schöpferwort Gottes stehend, können die Einzelnen zueinander stehen, beziehungsreich miteinander umgehen.

Angesichts dieser Glaubenszuversicht scheut Höhn den religionskritischen Einwand nicht, die Überzeugung, durch Gott unbedingt angenommen zu sein, erfüllt lediglich kompensatorisch das menschliche Bedürfnis nach Selbstvergewisserung. Gegen diese Auffassung sind immer neue theologische Widerworte gefragt. Ein solches füge ich hier ein: Zwei Beduinen finden vor einer Quelle einen Verdursteten. Achselzuckend sagen sie zueinander: Er hielt die Quelle für eine Fata Morgana. Er war ein moderner Mensch.

Höhns gedanklich komplexes, facettenreiches Buch fordert die Anstrengung des Begriffs. Die Lektüre belohnt den ausdauernden, konzentrierten Leser. Die Ausführungen bieten ihm nämlich vielfältige Möglichkeiten, die eigene Glaubensüberzeugung rational zu begründen. Sie erweitern seinen Horizont, befähigen ihn dazu, das Dasein genauer zu betrachten, die Zuwendung, das Wirken und die Treue Gottes zu seiner Schöpfung besser zu verstehen.

Überdies erweist sich das Buch als sehr hilfreich im und für das Gespräch mit weltanschaulich unterschiedlich geprägten Zeitgenossen und motiviert dazu, sich über das Leben und den christlichen Glauben argumentativ auseinanderzusetzen – in einer säkularen Gesellschaft ohne Gott, jedoch vor Gott.

Systematische Theologie
Würzburg: Echter Verlag. 2020
383 Seiten

29,90 €

ISBN 978-3-429-05495-3

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