Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Kessler: Auferstehung?

Auferstehung – was soll das bedeuten? Die Auffassungen gehen weit auseinander: Was nicht wenige für reines Wunschdenken halten, gilt anderen als eine historische Tatsache; während gelegentlich bestritten wird, dass Jesus überhaupt am Kreuz gestorben ist, sehen manche in der Auferstehung ein psychologisch bedeutsames Hoffnungssymbol. Derartig widerstreitende Ansichten haben Hans Kessler veranlasst, sich noch einmal eingehend mit dem Thema zu befassen. Dazu ist er wie kaum ein Zweiter qualifiziert, hat er doch unter dem Titel „Sucht den Lebenden nicht bei den Toten“ 1985 ein Standardwerk über die Auferstehung Jesus Christi veröffentlicht, das in der 1995 ergänzten Neuauflage auf über fünfhundert Seiten angewachsen ist. Nun hat der inzwischen emeritierte Systematische Theologe unter Berücksichtigung neuerer Forschung sich die Aufgabe gestellt, in einem deutlich schmaleren Buch „zweifelnden und fragenden Zeitgenossen“ den Sinn und die Bedeutung der Auferstehung „verständlich und lesbar“ (9) zu erschließen. Dabei stellt er nicht die lehramtliche Dogmatik, sondern das – immer wieder zitierte – biblische Zeugnis in den Mittelpunkt.

Das 1. Kapitel (13-63) fasst konzentriert das historische Wissen über Jesus zusammen. Außerchristliche Quellen bekunden seine Historizität und Hinrichtung, ausführlichere Informationen finden sich in den Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas. Wenige Stichworte müssen hier genügen: Um 4 v.Chr. geboren, lebte Jesus in dem kleinen galiläischen Bergdorf Nazareth zusammen mit seiner Mutter und den Geschwistern, arbeitete wohl als Bauhandwerker und brach ca. 27/28 in die judäische Wüste auf, wo er sich von Johannes taufen ließ. Seine religiöse Schlüsselerfahrung – der Verfasser spricht von einer „Revolution im Gottesverständnis“ (26) – enthält die Einsicht, dass Gott kein vergeltender, durch Opfer gnädig zu stimmender Richtergott ist, sondern sich vielmehr ohne Vorbedingung jedem Menschen zuwendet. Deshalb verkündete Jesus die gute Nachricht von der bereits angebrochenen und noch nicht vollendeten Herrschaft des barmherzigen Gottes. Und weil er an sich selbst erfuhr, dass von Gott heilende Kraft ausgeht, konnte er auch als ein „charismatischer Heiler“ (31) wirken.

Jesu Gottesverständnis, wonach Gott kein sühnendes Tieropfer im Tempel verlangt, sowie sein Anspruch, an der Stelle Gottes zu handeln, provozierte in Jerusalem den „sadduzäischen Adel“ mit dem Hohepriester Kajaphas, der vor Pilatus eine Verurteilung wegen politischen Aufruhrs erwirkte. Nach Geißelung und Kreuzigung starb Jesus am Vortag des Passahfestes, dem 7. April 30, auf dem Hügel Golgatha und wurde noch am gleichen Tag in einem Felsengrab beigesetzt. – Den gegen die biblischen und außerbiblischen Quellen gewendeten Bestreitungen des Kreuzestodes Jesu widmet der Verfasser klugerweise ein eigenes Kapitel (53-63): Sie beruhen, wie Gnosis oder Koran zeigen, auf dogmatischen Vorentscheidungen oder sind, wie jüngst von Johannes Fried vertreten, abenteuerliche Scheintodtheorien.

Das längste, 3. Kapitel (65-106) untersucht die neutestamentlichen Texte zur Auferstehung Jesu. In den frühesten Osterbekenntnissen heißt es – ohne jede Anschaulichkeit – ganz knapp: „Gott hat Jesus von den Toten erweckt (und zu sich erhöht).“ (75) In dem etwas späteren Bekenntnis 1 Kor 15,3-8 kommt ein – ebenfalls unanschaulich bleibendes – „Erscheinen“ Jesu vor Zeugen hinzu. Von diesen frühen Texten sind die erst zwischen 70 und 100 entstandenen Ostererzählungen zu unterscheiden, die nun das unanschauliche Bekenntnis in Szene setzten oder – mit Eckhard Nordhofen gesprochen – eine auf die jeweilige Gemeindeproblematik bezogene „Lehrperformance“ aufführen.

In der ältesten Grabeserzählung Mk 16,1-8 ist die Botschaft des Jünglings an die Frauen, nicht das Grab selbst entscheidend. Gemäß den späteren Texten Lk 24,1-3 und Joh 20,1-8 war kein Leichnam im Grab Jesu zu entdecken. Ist also, wie Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. im zweiten Teil von „Jesus von Nazareth“ (2011) schreibt, „das leere Grab als Teil der Auferstehungsverkündigung ein streng schriftgemäßes Faktum“? Ob das Grab Jesu faktisch leer war, wissen wir laut Kessler nicht. Dass das leere Grab aber nicht zum Kern des christlichen Glaubens gehört, begründet er überzeugend mit je zwei bibelwissenschaftlichen und systematischen Überlegungen: Erstens erwähnen die frühen Osterbekenntnisse – und alle neutestamentlichen Texte außer den Evangelien – kein leeres Grab. Zweitens ist mit Blick auf die frühjüdische Literatur – anders als oft angenommen – eine Auferstehungsverkündigung auch ohne ein leeres Grab plausibel. Wenn drittens Jesus Christus wahrer Mensch war und viertens Gott nicht punktuell in die Gesetze der von ihm in Gang gesetzten Schöpfung eingreift, dann muss der Zerfall des Leichnams Jesu angenommen werden. Wird damit nicht aber die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung obsolet? Oder muss leibliche Auferstehung anders verstanden werden?

Die Erscheinungserzählungen derEvangelien nach Mt, Lk und Joh berichten nicht über Geschehnisse im Jahr 30, sondern setzen das frühchristliche, unanschauliche „Erscheinen“ des auferstandenen bzw. erhöhten Jesus in Szene. Die großartige Emmaus-Geschichte (Lk 24,13-35) etwa ist eine Lehrperformance darüber, wie mehr als fünfzig Jahre nach dem Tod Jesu dessen Präsenz erlebt werden kann: im gläubigen Schrift-Gespräch und beim Brechen des Brotes. Zu achten gilt es auf die verwendeten sprachlichen Mittel: So ist in der Emmaus-Erzählung im Moment des Erkennens der zuvor unerkannte Auferstandene schon wieder verschwunden (Lk 24,31) – was keine Enttäuschung auslöst, da er ja verborgen präsent erfahren wird. Bei Joh stehen auf den ersten Blick widersprüchliche Aussagen dicht beieinander: Während der auferstandene Jesus Maria von Magdala jede Berührung verbietet (Joh 20,17), fordert er Thomas zur Berührung auf, ohne dass von einer tatsächlichen Berührung die Rede wäre (Joh 20,27).

Wie kann die frühchristliche – später in Erscheinungserzählungen ausgestaltete – Rede von „Erscheinung“ verstanden werden? In einem Exkurs (94-106) schlägt der Verfasser vor, die „Ostererscheinungen nicht unter dem Niveau von sonstigen starken religiösen (etwa prophetischen oder mystischen) Erfahrungen“ (105) zu verstehen. Es gehe um „das überraschende Wunder einer von Gott gewirkten inneren, den ganzen Menschen erfassenden Erfahrung und evidenten Erkenntnis (Offenbarung): der getötete Jesus ist lebendig gegenwärtig“ (105; 121).

Wie kam es zur Entstehung des Osterglaubens (107-124)? Der Verbrechertod Jesu hatte seine Anhänger in eine schwere Krise gestürzt. Konnten sie diese angesichts ihrer Erfahrungen mit Jesus nach einem Trauerprozess in das Bekenntnis zu seiner Auferstehung überführen? Oder war die Krise so stark, dass die Jünger eines weiteren Impulses bedurften? Für Letzteres spricht nach Kessler die „radikale Kehrtwendung“ (118) des Jakobus, der sich ja von seinem Bruder Jesus distanziert hatte (Mk 3,21.31-35) und erst aufgrund seiner Ostererfahrung (1 Kor 15,7) – als Familienoberhaupt die Mutter und die anderen Brüder mitnehmend – von Nazareth wegzog und der Urgemeinde beitrat, und später des Paulus, der Jesus gar nicht gekannt und die christliche Gemeinde verfolgt hatte. Die Entstehung des Osterglaubens ist also nach Kesslers Überzeugung „ohne ein neues evidentes Widerfahrnis kaum zu verstehen“ (122), wobei freilich nicht an übernatürliche Eingriffe wie ein leeres Grab oder die Erscheinungen eines reanimierten Jesus zu denken ist.

Der biblische Auferstehungsglaube macht eine fundamentale Annahme: Er setzt Gott voraus. Was das beinhaltet, wird im abschließenden Kapitel (125-170) entfaltet. Einige Andeutungen müssen genügen: Gott ist „größer, als gedacht werden kann“ und schöpferischer Urgrund von allem, was existiert. Als der „Ich-bin-da“ (Ex 3,14) ist der transzendente Gott seiner Schöpfung immanent und kann sich in Jesus von Nazareth als allen Menschen geltende Güte offenbaren (127-141).

Auf diesem Hintergrund bedeutet die Auferstehung Jesu und der Toten „das Aufgenommen-werden der Person in die radikal andere […] Ewigkeits-Dimension Gottes“ (142), was „ein erweitertes Verständnis der Wirklichkeit“ (143) verlangt. Auferstehung bezeichnet ein reales Geschehen, das sich aber – von seiner Seinsweise her – unserer sinnlichen Erfahrung und empirischen Feststellbarkeit entzieht: „Eine im Grab Jesu aufgestellte Video-Kamera hätte nichts aufgenommen.“ (143)

Wie kann dann noch von einer leiblichen Auferstehung Jesu gesprochen werden, wenn sich sein Leichnam wie der aller anderen Menschen auflöst? Bei seinem Antwortversuch (144-154) bezieht sich Kessler auf philosophische Phänomenologie und auf das Phänomen der Außer-Körper-Erfahrungen, die beide eine Differenzierung zwischen einem materiellen Körper und einer mit der Person gegebenen Leiblichkeit (als „Sich-Spüren und Bezogen-Sein auf andere“, 147) nahelegen. Diese Unterscheidung lässt sich auf die biblische Rede von einem irdischen Leib, der zerfällt, und einem pneumatischen Leib, der mit all seinen lebensgeschichtlichen Bezügen von Gott vollendet wird, beziehen. Überlegungen zu Gericht, Versöhnung und ewigem Leben sowie die Feststellung, dass es ohne Gott keine Gerechtigkeit für die ungezählten Opfer der Geschichte gibt, beschließen den Gedankengang (155-170).

Hans Kessler hat eine knappe, überaus informative, verständlich geschriebene und dicht argumentierende Begründung des Auferstehungsglaubens vorgelegt, die – wie die Überlegungen zu Jakobus – Akzente setzt. Mehrere Exkurse zu den (Heilungs-)Wundern Jesu (32f) oder zur Rede von Liebe (Agape) (38) ergänzen den Text. Eher Kirchenferne dürften überrascht sein, wie viele Fakten die Bibelwissenschaft über das Leben und den Tod Jesu zusammengetragen hat. Predigern und Religionslehrkräften wird der Stand theologischer Forschung offeriert; ihnen stellt sich u.a. die religionspädagogische Aufgabe, die anschaulichen Auferstehungserzählungen nicht als historische Berichte, sondern in ihrer sprachlichen Eigenart und ihrem theologischen Gehalt zu erschließen – wobei es die christliche Bildgeschichte, die ja maßgeblich deren Rezeption (mit-)bestimmt (und mitunter fehlgeleitet) hat, einzubeziehen gilt. Viele Textpassagen können den Religionsunterricht der Oberstufe vornehmlich bei der Erarbeitung der Themenfelder Jesus Christus oder Gott bereichern. Studierende der Theologie bekommen eine prägnante Hinführung an die Hand, die zusammen mit dem Literaturverzeichnis (171-174) und den 270 weiterführenden Anmerkungen (175-201) reichlich Anregungen für eine vertiefende Lektüre gibt.

Bleibt das Resümee: „Auferstehung?“ ist ein Buch für alle, die bereit sind, sich der Anstrengung des Mitdenkens auszusetzen, und dafür mit vielen Einsichten belohnt werden.

Der Weg Jesu, das Kreuz und der Osterglaube
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2021
203 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-7867-3252-5

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