Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Kessler: Gott – warum er uns nicht loslässt

Ist es überhaupt vernünftig, an Gott zu glauben? Wenn ja: Kann über Gott irgendetwas Bestimmtes ausgesagt werden? Und: Wie ist von Gott zu sprechen? Es sind im Kern diese Fragen, auf die Hans Kessler, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Frankfurt, in seinem jüngsten Buch Antworten gibt. Es besteht aus zwei sich ergänzenden, unabhängig voneinander lesbaren Teilen. Bezugspunkte bilden die derzeitige Religionskritik auf der einen und die modernen Naturwissenschaft auf der anderen Seite. Weil es weder für noch gegen die Existenz Gottes zwingende Beweise gibt, treffen wir mit der Option für den Glauben oder den Unglauben eine Lebensentscheidung. Der Verfasser entfaltet gute Gründe für den Glauben; einige seiner Überlegungen werden im Folgenden skizziert.

Ist Gott eine Wahngestalt – vergleichbar einer Fata Morgana, die der Wunsch eines Verdurstenden nach Wasser herbeifantasiert? Kessler hält diesen jüngst erneuerten religionskritischen Einwand für einen „Trugschluss“ (14). Ein Lebewesen mit dem Bedürfnis nach Durst könnte ohne Wasser gar nicht existieren. Der Mensch aber ist das Lebewesen, das nach dem Sinn fragt: Kann dieser „metaphysische“ Durst nicht als ein „starke[s] Indiz“ (13) für die Existenz eines umfassenden Sinns, für Gott, gewertet werden?

Die Welt ist bloßer Zufall – weitere Erklärungen sind überflüssig. Aber, hier spielt der Verfasser seine ausgezeichneten Kenntnisse als Mitglied des Frankfurter Arbeitskreises Naturwissenschaft und Theologie ein, wie lässt sich die völlig unwahrscheinliche Feinabstimmung der zahlreichen Naturkonstanten verstehen, die unseren blauen Planeten erst ermöglicht haben? Wie konnte die Evolution, „von Anfang an ein Drahtseilakt voll extremer Unwahrscheinlichkeiten“ (22), ein Lebewesen wie den Menschen hervorbringen, das über alles Bestehende hinaus nach dem Zusammenhang vom Allem zu fragen imstande ist? Der Glaube an einen göttlichen Urgrund oder Schöpfer kann sich also durchaus auf Indizien stützen, die aber auch anders interpretiert werden können.

Missverstanden wird die Annahme eines Urgrundes bzw. Schöpfers, wenn nach einer ersten (empirischen) Ursache gefragt wird, denn er ist nicht erstes Glied, sondern „Grund der ganzen Kette … (ob vor oder nach dem Urknall)“ (17). Von ihm kann nicht wie von Dingen in der Welt gesprochen werden, eher kann gesagt werden, was er nicht ist, als was er ist. Auf dieser gedanklichen Linie macht Kessler drei formale Aussagen über den Urgrund: Er ist a) nicht kleiner als der Kosmos, sondern transzendent; er ist b) nicht getrennt vom Kosmos, sondern immanent; er ist c) nicht weniger personales Wesen als wir, sondern überpersonal. Damit ist der gedankliche Bogen zur biblisch-christlichen Gottesvorstellung geschlagen: Wenn nämlich der göttliche Urgrund die Qualität des Personalen hat, dann ist es denkbar, „dass er sich von selbst her meldet“ (34). Die Bibel bezeugt, dass Gott sich gemeldet (= geoffenbart) hat.

Im nächsten Schritt umreißt der Verfasser das christliche Gottesverständnis: Der unbegreifliche Urgrund ist nicht ambivalent, sondern offenbart sich in Jesus von Nazaret als der gütige Gott-mit-uns (Immanuel). „Religionsgeschichtlich revolutionär“ (44) ist der Glaube, Gott habe nicht etwas, sondern sich selbst als unbegrenzte Liebe in Jesus Christus und seinem Geist mitgeteilt. In einer knappen Darstellung der Trinitätslehre stellt Kessler heraus, dass deren Sprachbilder analogen Charakter besitzen. Ist etwa von einem Wesen und drei Personen die Rede, besagt 1 „Negation aller Vervielfältigung (also strenge Einzigkeit Gottes)“ und 3 „Negation aller inneren Einsamkeit … (also Beziehungsreichtum, Lebensfülle in Gott)“ (49). Vater, Sohn (Wort) und Geist sind „Bildworte“ (50) und beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte des einen Gottes: seine Transzendenz, seine Selbstmitteilung in Jesus und sein Ankommen in uns. Dass sich die kirchliche Trinitätslehre durchaus verständlich formulieren lässt, belegt Kesslers eigene Kurzformel: „Der eine Gott über und um uns (Vater/Mutter), und gegenüber und mit uns (Jesus Christus), und in uns (Hl. Geist).“ (52)

Wegen des Ausmaßes der Leiden in der Welt halten manche Religionskritiker die Vorstellung eines allmächtigen wie gütigen Gottes für widersprüchlich, also für unvernünftig. Kessler hingegen schlägt vor, die Allmacht Gottes von seiner Güte her zu verstehen (77). Ein Gott, der Mitliebende will, schafft die Natur in ihrer Eigendynamik und die Menschen in ihrer Freiheit. „Mit der Freigabe der Geschöpfe in ihre Eigendynamik gibt Gott etwas aus der Hand, gibt ihnen Eigenmacht und riskiert seine eigene Ohnmacht.“ (41) Gott verzichtet auf direkte Eingriffe („Wunder“) und muss Zerstörungen in der Natur sowie Freiheitsmissbrauch in der Geschichte in Kauf nehmen – keine gottgewollten Geschehnisse, vielmehr solche, unter denen er leidet (91). Menschen aber, die sich dem Hl. Geist öffnen, ermöglichen Gottes Wirken in seiner Welt; Christen können es dort erkennen, wo sich die Verhältnisse hin zum Besseren, hin zu größerer Gemeinschaft, verwandeln.

Auf nur 100 Seiten entwirft der Systematische Theologe eine kleine Gotteslehre für unsere Zeit. Wer sich als Christ reflektiert mit dem biblisch-christlichen Gottesverständnis befassen oder sich als Atheist auf dem Niveau heutiger Theologie mit der Gottesthematik auseinandersetzten möchte, wird das Werk mit Gewinn lesen – zumal die dichten Argumentationen verständlich entwickelt werden. In den ausführlichen Anmerkungen werden weiterführende Literaturhinweise gegeben. Für manchen leistungsstarken Oberstufenkurs könnte sich Kesslers Buch als begleitende Lektüre empfehlen, werden doch fast alle verbindlichen Inhaltspunkte im Gotteshalbjahr des neuen Hessischen Kerncurriculums (Q2) thematisiert.

topos taschenbücher
Kevelaer: Butzon & Bercker Verlag. 2016
112 Seiten
8,95 €
ISBN 978-3-8367-1091-6

 

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