Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hartmut Leppin: Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin

Hartmut Leppin, Althistoriker an der Universität Frankfurt, Träger des Leibnitz-Preises und Bruder des bekannten Reformationshistorikers Volker Leppin, legt eine umfangreiche sozialgeschichtliche Studie über die Christen von der Jüngergemeinde bis zur Anerkennung als erlaubte Religion unter Kaiser Konstantin vor. Der Althistoriker geht dabei nicht chronologisch vor, sondern beschreibt in vier Hauptkapiteln wesentliche Grundzüge des Christentums der ersten Jahrhunderte und seine Verortung im Römischen Reich. Die Theologiegeschichte kommt nur am Rand zur Sprache. Vielmehr geht es Leppin um die Innengeschichte des Christentums in Auseinandersetzung mit seiner Zeit. Viele, auch längere Zitate, aus dem frühchristlichen Schrifttum lassen die Jahrhunderte lebendig werden, in denen die Christen sich in der Welt einrichteten, obwohl sie von Jesus her eigentlich der Vorläufigkeit des Irdischen verpflichtet waren.

Das erste Kapitel (33-133) beschreibt die Emanzipation der Christen von den Juden und Heiden. Gemeinsames und Trennendes weist Leppin nach. Die Absetzung vom Judentum vollzog sich durch die Taufe und die allmähliche Aneignung eigener Traditionen von Festen und Speisevorschriften. Mit der griechisch-römisch geprägten Umgebung verband die Christen der Glaube an Wunder und Dämonen. Die Inschriften auf den Sarkophagen auf den meist gemeinsamen Friedhöfen zeigen ab dem 3. Jahrhundert deutlicher christliche Züge. Erste eigens für den christlichen Gottesdienst hergerichtete Gebäude treten noch hinter den Versammlungsorten in Privathäusern zurück.

Im zweiten Kapitel (135-253) werden die Organisation des Christentums und ihre Autoritäten in den Blick genommen. Die ersten Gemeinden waren geprägt von charismatischen Personen. Die Organisation stand nicht im Vordergrund. Die Kirchenväter berichten von Propheten und Prophetinnen. Das Christentum präsentierte sich als die wahre Philosophie. Erst ab dem 2. Jahrhundert kommen die Ämter des Bischofs und Diakons auf, mit all den Gefahren, die mit der Verwaltung von Geld und mit Macht verbunden sind. Ihre Verehrung setzt jedoch dann ein, wenn sie eines gewaltsamen Todes sterben. Obwohl bis Konstantin immer wieder Verfolgungen drohen, bilden sich gerade in den Großstädten wichtige Zentren heraus.

„Selbstsorge und Nächstenliebe“ (255-344) ist das übergeordnete Thema des dritten Kapitels. Leppin beschreibt die Bedeutung der Geschwisterlichkeit unter den Getauften. Ausführlich differenziert er die Ambivalenz der Ehe und die Haltung der Christen zur Sexualität. Einen besonderen Stellenwert nahm der Schutz der Kinder ein – eine wichtige Differenz zu einer ökonomischen Sichtweise und päderastischen Gebräuchen. Sklaverei wurde nicht abgelehnt, sondern von Christen genau so praktiziert wie von den Heiden der Umwelt. Was die Christen auszeichnete, war die Fürsorge für die Armen und Marginalisierten sowie die Gestaltung des Alltags mit der Möglichkeit der Umkehr in Form der Buße.

Als „Bürger zweier Reiche“ (345-414) sieht der Verfasser die Christen in seinem vierten Hauptkapitel. Die Christen lebten in beständiger Angst vor Bedrängnis. Das betraf nicht nur die ausdrücklichen Verfolgungen, sondern mehr noch die im Alltag geforderte Loyalität den römischen Göttern und dem Kaiserkult gegenüber. Bestimmte Berufe, wie Soldaten, waren dabei besonders gefordert. Nicht alle, die vor Gericht gezogen wurden, brachten die Kraft zum Martyrium auf. Überliefert sind auch viele Ausflüchte und die Suche nach Auswegen in Zeiten der Verfolgung. Am Beginn des 4. Jahrhunderts, zur Zeit der letzten großen Verfolgung unter Kaiser Diokletian, hatten die Christen den Sprung in die sozialen Eliten geschafft. Dennoch, so Leppin, war das Bekenntnis Konstantins zum Christentum keineswegs zwangsläufig.

Leppin hat ein spannend zu lesendes Werk über die frühen Christen geschrieben. Minutiös analysiert er die Quellen, die er bewusst gegen den Strich liest. Viele Bilder werden dadurch dekonstruiert, aber es entsteht ein neues, facettenreiches Bild einer Religion im Entstehen und in der ständigen Auseinandersetzung mit der Umwelt der Kulturen des Mittelmeerraums. Vielleicht nicht unbedingt als erste Information über die ersten Jahrhunderte der Christenheit, auf jeden Fall aber als Vertiefung unter sozialhistorischer Perspektive ist die Lektüre der Studie Leppins zu empfehlen.

München: C.H. Beck Verlag. 2018
512 Seiten m. s-w Abb.
29,95 €
ISBN 978-3-406-72510-4

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