Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Holger Dörnemann / Stephan Leimgruber: Sexuelle Bildung aus christlicher Perspektive

Der christlichen Sexualethik und -pädagogik besonders in katholischer Prägung eilt der Ruf voraus, sie sei veraltet und zuweilen sogar bigott. Das vorliegende Werk „Sexuelle Bildung aus christlicher Perspektive“ der beiden Religionspädagogen Holger Dörnemann und Stephan Leimgruber lässt diesen voreiligen Schluss jedoch nicht zu. Die in zwei grobe Teile unterteilbaren neun Kapitel des Buches zeigen die unausgeschöpften Potentiale einer christlichen Sexualpädagogik auf, die sich auf einen interdisziplinären Austausch einlässt und aus ihr heraus Perspektiven für die praktische Arbeit entwickelt.

Während sich der erste Teil den theologischen Argumentationsgrundlagen aus anthropologischer, biblischer und systematisch-theologischer Perspektive nähert und diese in einer „emanzipatorische[n] Neuorientierung“ (14, im Original Hervorhebung durch Kursivsetzung) für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie sexualpädagogisch Arbeitende nutzbar machen will, zeigt der zweite, pädagogische Teil dieses Werks den Status quo der Möglichkeit sexualpädagogischer Arbeit in Religionsunterricht, schulnahen Workshops, der Seelsorge und Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund eines dafür entwickelten sexualpädagogischen Kompetenzmodells (vgl. 147) auf. Es umfasst die sieben Kompetenzbereiche Identitätskompetenz, sprachliche und kommunikative Kompetenz, Sachkompetenz, soziale Kompetenz, ethische Kompetenz, interkulturelle und interreligiöse Kompetenz und Medienkompetenz, die dem Anspruch einer multidisziplinären und integrativen Sexualpädagogik gerecht werden. Dies zeigt sich ebenfalls in den praktischen Ausarbeitungen.

Mit Bezügen zum Bildungsplan des Landes Bayern leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag, die in den Schulen aktuell angestrebten sexualpädagogischen Kompetenzen im Rahmen des Religionsunterrichts transparent zu machen und ihre Relevanz aufzuweisen. Ihr sexualpädagogischer Entwurf distanziert sich eindrücklich von einer christlichen Verbotsmoral und hebt die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion leib- und körperfeindlicher Tendenzen der christlichen Vergangenheit hervor. Die biblischen und systematischen Vertiefungen führen auch theologisch nicht Versierte klar und verständlich in die vergangenen Problemlagen ein und skizzieren besonders für pädagogisches Fachpersonal an Schulen wie in seelsorglichen Einrichtungen Vorschläge für einen kreativen, emanzipativen und reflektierten Umgang mit den Themen Sexualität, Liebe und Partnerschaft. Das bereits genannte sexualpädagogische Kompetenzmodell erweist sich dabei in vielerlei Hinsicht anschlussfähig, weil es für eine differenzierte Sicht auf den vielfältigen Themenbereich Sexualität sorgt.

So könnten gerade im Hinblick auf die aktuell heiß diskutierten Debatten zu den Themen Gender, Intergeschlechtlichkeit und Transidentität, zu denen in den meisten deutschen Bildungsplänen noch entsprechende Bildungsplanpunkte fehlen, durch konkretisierende Vorschläge ergänzt werden. Dörnemann und Leimgruber ist hier allerdings nur indirekt ein Vorwurf zu machen, da sie den bestehenden Bildungsplan zitieren und es nicht in deren Fokus liegt, über dessen mögliche Gestaltung in der Zukunft zu reflektieren.

Kern der Kritik könnte jedoch sein, dass gerade die für die praktische Arbeit je spezifischem Themenbereich aufgelisteten Anwendungsbeispiele wenig bis gar nicht kritisch ausgewertet werden. In der Hinführung formulieren die Autoren damit die Zielsetzung, deutlich zu machen, „wie Sexuelle Bildung das gesamte Leben durchzieht“ (215). Fraglich bleibt dabei, ob diese Exempel erstens nur Anschauungsmaterial für die eigene Ideenfindung sein sollen oder ob sie zweitens nach Einschätzung der Autoren einer der aktuell besten Entwürfe zur sexualpädagogischen Arbeit sind. Sollte Zweiteres zutreffen, mangelt es aber an spezifischen Kriterien für diese Einschätzung und Auswahl. Aufgrund der systematisch wirklich differenzierten Vorarbeiten im ersten Teil ist es schade, dass diese fachliche Expertise nicht auch gegen Ende des zweiten Teils eingebracht wurde. In Bezug auf Ersteres müssen daher Personen enttäuscht werden, die das Werk als Materialgrundlage für die sexualpädagogische Praxis verwenden wollen, da die Darstellung praktischer Anwendungsbeispiele zu knapp ausfällt und im Bereich der Schule nur auf die Bildungspläne des Landes Bayern bezogen ist.

Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass Dörnemann und Leimgruber einen guten Überblick über die historischen wie gegenwärtigen Zusammenhänge von christlicher Sexuallehre und Sexualpädagogik geben, ihre Erkenntnisse in einem anschaulichen und vielversprechenden sexualpädagogischen Kompetenzmodell bündeln und zur Auseinandersetzung mit sexualpädagogischen Fragen in der Theorie wie Praxis anregen. Allein das kritische und kreative Potential im Umgang mit den ausgewählten Beispielen fehlt.

Für Erziehung, Pädagogik und Gemeindepraxis
Paderborn: Bonifatius Verlag. 2022
292 Seiten
34,00 €
ISBN 978-3-89710-9186

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