Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hubert Wolf: Zölibat. 16 Thesen

Der Ruf nach einer seit langem schon fälligen Aufhebung der Verpflichtung der katholischen Priester des lateinischen Ritus, ehelos, also zölibatär, zu leben, wird immer lauter. Die Überalterung des Klerus, die abnehmende Zahl der jungen Männer, die sich für ein Leben und Wirken als Priester in den ja vielfach schrumpfenden Gemeinden entschließen, hat die Frage nach den Zugangsbedingungen bereits unausweichlich werden lassen. Zu diesen gehört in unserer römisch-katholischen Kirche seit eh und je die Bereitschaft zu einem ehelosen Leben. Diese Lebensform ist in der jüngsten Zeit erneut und verstärkt in Frage gestellt worden, als publik wurde, dass eine erschreckend hohe Zahl von Priestern sexuell übergriffig geworden sind.

Zu den damit angedeuteten Fragen hat sich nun laut und vernehmlich der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf zu Wort gemeldet. In seinem sorgfältig erarbeiteten und gut lesbaren Buch formuliert er in 16 Thesen die Argumente, die für eine nicht nur mögliche, sondern in der lateinischen Kirche anstehende, ja notwendige Aufhebung der Bindung des Priesteramtes an die zölibatäre Lebensform sprechen. Er stellt heraus, dass die Ehelosigkeit in der römisch-katholischen Kirche seit eh und je nicht zu den wesentlichen Formen gehört, in denen das Priesteramt sich darstellt. Der Verfasser erinnert an die biblischen Ausgangspunkte der Kirche und ihrer Ämter. Die Apostel und dann die Bischöfe, die Priester und Diakone, die von Jesus berufen worden waren und dann die frühkirchlichen Entwicklungen lenkten, waren in der Regel verheiratet. Die Vorstellungen von der kultischen Reinheit der Kirchendiener, sofern sie in den biblischen Texten zur Sprache kommen, stammen aus vor- und nebenbiblischen Traditionen. Der Rückblick in die Geschichte der Kirche lässt sodann erkennen, dass es immer wieder und in vielen Gegenden eine gelebte Praxis nicht weniger Priester gab, die der Zölibatsregel nicht entsprach. Die starke, nicht nur theologische, sondern kirchenrechtliche Aspekte einschließende Bindung der Übernahme des Priesteramtes an die zölibatäre Lebensform ist, so betont Wolf, im Übrigen erst jüngeren Datums.

Was der Verfasser zur laufenden Debatte über die Zölibatsfrage vorgelegt hat, ist in jeder Hinsicht an- und ernstzunehmen. Was es an Gründen für eine Änderung der diesbezüglichen Praxis gibt, ist hier umfassend und mit starken Argumenten zusammengestellt. Damit ist sogleich die Grenze dieser Wortmeldung bezeichnet. Es gibt in diesem Buch auch nicht eine Seite oder auch nur einen Satz, die einer Würdigung der Dimensionen der Zölibatsfrage dienten, die bei allen aktuellen Schwierigkeiten doch für eine Beibehaltung dieser priesterlichen Lebensform sprechen könnten. Wenn es in unserer Kirche zu einer guten, Gottes Willen entsprechenden und in eine gute Zukunft der Kirche führenden Entscheidung kommen soll, ist eine Wahrnehmung und Abwägung der Gegengründe unverzichtbar. Andernfalls wäre eine umsichtige Unterscheidung, ohne die eine geistliche Entscheidung nicht zustande käme, nicht möglich. Es wäre also den Gesichtspunkten nachzuspüren, die ungezählte Priester gestern und heute, hier und dort tatsächlich bewogen haben, die Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen zu wählen und zu leben. Man darf davon ausgehen, dass viele Bischöfe, Priester und Diakone in unserer Kirche im Laufe der Jahrhunderte und bis heute diesen Lebensweg eingeschlagen haben, weil sie so für sich und die sich ihnen anvertrauenden Christen darzustellen versuchten, dass ihr Dienst ihre eigene Existenz in umfassender, auch die leibliche Sphäre beanspruchender Weise bestimmt.

In diesem Sinne ist es wohl richtig, das starke Plädoyer Hubert Wolfs als die Darlegung der Gesichtspunkte der einen Seite zu verstehen und anzunehmen. Die fälligen Entscheidungen in unserer Kirche können aber tragfähig und Gottes Willen entsprechend nur ausfallen, wenn die Anliegen und Einsichten der anderen Seite auch in ernsthafter Weise gesichtet und gewürdigt worden sind.

München: C.H. Beck Verlag. 2019
190 Seiten
14,95 €
ISBN 978-3-406-74185-2

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