Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ingo Reuter: Weltuntergänge

Dass die „Apokalypse des Johannes“ kein Weltuntergangsbuch, sondern ein Hoffnungs- und Trostbuch für die unterdrückten Gemeinden innerhalb des Römischen Reiches darstellte, betont der in Paderborn lehrende Ingo Reuter in seinem neuen Büchlein. Darin nimmt der kulturhermeneutisch arbeitende Theologe multiperspektivisch das Phänomen von Weltuntergangserzählungen (WUE) auf – seien sie nun schriftlich oder in der filmischen Popkultur umgesetzt – um zu fragen, welchen Sinn solche Erzählungen transportieren. So gibt es Fluterzählungen, wie die biblische Sinfluterzählung, die letztlich kathartisch wirken sollen. Daneben existieren WUE, die den Untergang durch Gefahren von außen (Angriff durch Aliens oder Zombies) beschreiben oder Untergänge in Form technischer Hybris. Reuter greift auch das Motiv der viralen Vernichtung der Gattung Mensch auf, ein Kapitel, das sicher vor Corona geschrieben, aber mit einem einleitenden Zusatz zur gegenwärtigen Lage ergänzt wurde. Eine grundlegende Systematik, die antike WUE von modernen unterscheidet, ist die Frage, wer für den Untergang sorgt: Gott oder Götter, die eine gerechte Strafe über die Menschheit kommen lassen für Bosheit, Sünde, Überheblichkeit etc. – oder der Mensch, der selbstverantwortlich durch technische Überheblichkeit dazu beiträgt, dass die Welt dem Untergang geweiht ist.

Seit den 1950er Jahren lässt sich ein Boom ausmachen, was die Verbreitung von modernen WUE angeht. Reuter führt dies auf die technischen Möglichkeiten im Zusammenhang der Atomtechnik zurück; der Mensch hält eine Technik in der Hand, die in der Lage ist, das Leben auf dem Planeten zu vernichten. Viele Romane und Filme greifen deshalb auf das Motiv der Weltvernichtung durch Atomkriege zurück. Die Frage, die die Macher solcher Werke dabei umtreibt, lautet: Was lässt sich damit über die Gegenwart aussagen? Was verraten WUE über die Natur des Menschen? Wo liegen gegenwärtig Gefahren? Gibt es eine Chance auf Besserung? Alle WUE reflektieren die Gesellschaft und die Rolle des Menschen hinsichtlich seiner schlechten Handlungen und hinsichtlich seines Potentials zur Besserung. Letztlich scheinen WUE vor allem darauf abzuzielen, dem Menschen die Endlichkeit seiner Existenz vor Augen zu führen und ihn zum Nachdenken darüber zu bewegen, welchen Sinn sein Leben haben könnte und wie er sich richtig und gerecht zu verhalten habe.

Ingo Reuter bietet interessante Zugänge zum Phänomen von WUE an. Der Leser bekommt viele Einblicke in popkulturelle Erzählungen und deren Umgang mit der Thematik. Dass Zombies und Aliens Spiegel des Menschen „at his worst“ sind, scheint einleuchtend zu sein. Inwieweit solche popkulturellen Erzeugnisse allerdings Einfluss auf unsere Bewusstseinsbildung haben können, stellt auch Reuter zur Diskussion. Ob Kinogänger nach Filmen wie „Armageddon“ oder „The Day after Tomorrow“ wirklich einen Sinn für mehr menschliche Solidarität entwickeln oder die Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns hinsichtlich der Umwelt stellen, sollte nur höchst vorsichtig bejaht werden. Auch scheint die Lebensdauer von filmischen Helden, die Katastrophen abwenden oder nach Katastrophen einen Neuanfang wagen, im menschlichen Bewusstsein nicht allzu tiefe Spuren zu hinterlassen.

Etwas anstrengend sind Reuters erzählende Rekapitulationen diverser Filme und Serien; das hätte man kürzen müssen. Manche Gegenwartsanalysen kommen darüber hinaus leider allzu platt, beinahe populistisch daher. So kommt er beispielsweise bei seiner Analyse der „Apokalypse des Johannes“ in ihrer Bedeutung für die Gegenwart zu der Feststellung, wir alle heute seien die „Hure Babylons“. So einfach ist die Wirklichkeit dann doch nicht.

Vom Sinn der Endzeit-Erzählungen
Was bedeutet das alles?
Stuttgart: Reclam Verlag. 2020
93 Seiten
6,00 €
ISBN 978-3-15-019678-6

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