Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Janusz Surzykiewicz / Maria Groos / Teresa Loichen / Joost van Loon (Hg.): Liebe, Leib und Leidenschaft

Personsein aus der Sicht der Theologie des Leibes

In der Vergangenheit der katholischen Kirche hatte der Leib keine gute Presse. Er musste dem Geist zu Diensten sein, wurde malträtiert und teils drakonischen Fastenkuren unterworfen. Seit Jahrzehnten allerdings wird er geradezu vergötzt: Fitnesscenter haben in Universitäten die Hochschulkapellen ersetzt. Johannes Paul II. hat mit seiner Theologie des Leibes für Ausgeglichenheit gesorgt. Der Leib wird zu einem der Orte der Epiphanie Gottes; in ihm wird das Geistliche und das Göttliche sichtbar. Alle Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes entfalten diesen Grundgedanken. 

Nach Grußworten des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Kardinal Marx und des österreichischen Familienbischofs Klaus Küng eröffnet der Eichstätter Ortsbischof Gregor Maria Hanke den Reigen der Beiträge: Trotz menschlicher Unzulänglichkeiten und körperlicher Vergänglichkeit ist die sakramentale Liebe von Mann und Frau auf Dauer angelegt. Der St. Pöltener Moraltheologe Josef Spindelböck erklärt in einer Hermeneutik die Theologie des Leibes, die solches ermöglicht. Das Ehepaar Norbert und Renate Martin aus Vallendar und Mitglieder des päpstlichen Rates der Familie seit 1981 stellen die Verbindung von Humanae vitae und der Theologie des Leibes her; beide weisen darauf hin, dass die Beachtung der fruchtbaren und unfruchtbaren Zeiten Natur und Personsein, die zwei Komponenten menschlichen Seins, verbindet und sittliches Handeln erfordert. Es ist das ökologische Dilemma unserer Zeit, dass diese im Großen und Kleinen nicht gelingt und durch unverantwortlichen Technikeinsatz ebenso im Großen und Kleinen noch verschärft wird. 

Dankenswerterweise hat der Diplompädagoge und Absolvent des Studiengangs Theologie des Leibes in Heiligkreuz Ralf Reissel aufgezeigt, wie schon vor Johannes Paul II. die katholische Sexualmoral eine Entwicklung zum besseren Verständnis natürlicher Geschlechtlichkeit und personaler Verantwortung zurückgelegt hat. Der Heiligkreuzer Dozent Corbin Gams, Leiter verschiedener Studiengänge zur Theologie des Leibes, referiert über eine zentrale Kategorie der Theologie des Leibes, die „bräutliche Liebe“. Er enthüllt den Geschenkcharakter des Leibes als die Gabe der Liebe schlechthin, die nicht etwa auf einem Handel auf Gegenseitigkeit oder wechselseitigem Ausgleich der Triebhydraulik, sondern eben in seiner Höchstform als freies Geschenk beruht. Erstaunliches enthüllt die zu den Herausgebern des Bandes zählende Pharmazeutin Maria Groos in einem Vergleich des Begriffs der Jungfräulichkeit bei Luigi Giussani und Johannes Paul: Jungfräulichkeit ist auch für die Ehe wichtig. Sie schützt den Ehepartner davor, Gebrauchsgegenstand zu werden. Obwohl man sich gegenseitig besitzt, geschieht dieses Besitzen im Geiste der Anschauung. 

Die Madrider Sexualwissenschaftlerin Teresa Suarez del Vilar erläutert die spezifischen Typologien von Mann- und Frausein und entdeckt das mosaikartige Vorhandensein des gegengeschlechtlich Anderen in sich selbst. Die Berliner Schauspielerin Barbara Pavelka betrachtet den Leib von der darstellenden Kunst her als einen geschlechtlich begehrlichen und auf diese Begierde hingeordneten, der aber durch bräutliche Liebe geschützt wird und nicht in dieser Begierde untergehen darf. 

Eher mit der Vorbereitung zur Ehe haben die Beiträge des Direktors des Theologenkonvikts Albertinum in Bonn Romano Christen und der Teen-Star-Kursleiterin Karolin Wehler zu tun. Das Berufungsgeschehen ist ein Berührungsgeschehen eher durch Zeugnis, weniger durch Theorie; beide zur Ehe Berufenen sollten aus der gleichen Kraftquelle schöpfen. 

Die beiden folgenden Beiträge zum Thema Stillen als Geschenk von der Madrider Sexualtherapeutin Carmela Baeza und dem ugandischen Ehepaar Anne und Michael Nganda haben Gegensätzliches zum Thema, einmal das Glück, ein Kind stillen zu können, und zum anderen das Leid, keine Kinder bekommen zu können, und was das in Afrika insbesondere bedeutet. 

Der Eichstätter Soziologe Joost van Loon beschäftigt sich mit dem Auseinandertriften von Normativität und Normalität. Die Theologie des Leibes ist der Versuch, beides wieder zusammenzuführen, nicht durch ein forderndes moralisches Sollen, sondern durch ein attraktives Sein dessen, was das Beseligende des sexuellen Leibes schenkt. 

Die beiden letzten Beiträge über Abtreibung und Schwangerschaftskonflikte des Eichstätter Sozialpädagogen Janusz Surzykiewicz und der Eichstätter Diözesanreferentin Teresa Loichen untersuchen, inwiefern die Theologie des Leibes hilfreich für genannte Konfliktfelder sein kann. Im ersten Fall handelt es sich um einen außerordentlich differenzierten, jenseits aller ideologischen Vorbehalte vorgetragenen Bericht über Abtreibung als traumatisches Erlebnis und darüber, wie hilfreich es ist, wenn eine religiöse Prägung positiv durchgehalten werden kann. Während es sich in diesem Beitrag um eine Bestandsaufnahme handelt, werden im Beitrag Teresa Loichens Möglichkeiten der Konfliktbewältigung in der Perspektive einer Theologie des Leibes erörtert. 

Summa summarum bilden die Beiträge des Tagungsbandes ein großartiges Beispiel von Bandbreite und Wirksamkeit der Theologie des Leibes – wenn sie denn mehr kirchlich rezipiert werden würde.

St. Ottilien: EOS Verlag. 2016
364 Seiten
24,95 €
ISBN 978-3-8306-7835-9

 

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