Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jens Balzer: Pop und Populismus

Der Titel des Buches des Journalisten Kolumnisten Jens Balzer verspricht mehr, als das Werk letztlich halten kann, nämlich eine Auseinandersetzung mit dem Modethema „Populismus“, worunter er die Polarisierung unserer gegenwärtigen Gesellschaft fasst (12). Stattdessen haben wir es mit einem Großessay zu tun, der gelegentlich so wirkt, als seien verschiedene Kolumnen zu einem Buch zusammengefügt worden. Ihr verbindendes Thema: Popmusik, hier nicht verstanden im Sinne eines Genres, sondern schlicht im Sinne populärer, aktueller Musik. Das heißt, es dreht sich einmal um deutschen Hip-Hop und die Echoverleihung, um Heimatrocker wie Andreas Gabalier oder Frei.Wild und auch um die britische Band Planningtorock, bei der man sich wird fragen dürfen, ob sie zum beschriebenen Genre gehört. Inhaltlich lässt sich der Autor auf kein einheitliches Thema festlegen: Antisemitismus, Gewalt, Homophobie, Misogynie und „identitäre Rückvergewisserung“. Unwillkürlich fragt der Leser nach den Auswahlkriterien, denn weder ist die Konzentration auf die deutsche Situation und die Aufmerksamkeit der Presse ein solches noch die Themen an sich; zudem fehlt eine Reihe namhafter Bands wie Rammstein.

Die gleiche Anfrage an die Kriteriologie gilt für die laut Balzer evidenten Analogien zwischen politischem und musikalischem „Populismus“. Er beginnt mit dem medialen Skandal um die Verleihung des Echo an die Rapper Kollegah und Farid Bang für das meistverkaufte deutsche HipHop-Album des Jahres 2018, ein Skandal, der letztlich u.a. zum Ende des Musikpreises führte. Der Vorwurf gegen die beiden Rapper lautete auf Verwendung einer antisemitischen, rassistischen, sexistischen und gewaltverherrlichenden Sprache. Balzer beobachtet ausgehend von den beiden Vertretern innerhalb der gesamten deutschsprachigen Hip-Hop-Szene einen rhetorischen Dreischritt aus Grenzüberschreitung, Relativierung und Selbstviktimisierung, den er als Strategie des politischen Populismus ausmacht.

Der Rezensent hält es allerdings für leicht fahrlässig, eine solche nur sehr schwach ausgeprägte strukturelle Analogie derart zu überdehnen und von „populistische[m] Pop“ zu schreiben (34). Auch an zahlreichen anderen Stellen erschließt sich die Systematik Balzers nicht: So wirft er dem Rapper Fler das Kokettieren mit nationalsozialistischer Symbolik vor, als Belege dienen ihm die Verwendung der Farben Schwarz-Rot-Gold und der Druck seines Namens auf einem Album in Fraktur (40). Solche und ähnliche Äußerungen, etwa von Bushido, bildeten laut Balzer zu Anfang des Jahrtausends „ein Laboratorium der politischen Unkorrektheit von rechts“, einen Freiraum für reaktionäre Fantasien (46). Die Rapper dieser Jahre, so adaptiert Balzer eine für die US-amerikanische Szene entworfene Theorie, hätten sich als „nützliche Idioten eines neuen reaktionären Mainstreams“ erwiesen (50). In diesem Stil folgen weitere Kapitel über die Themen Antisemitismus, sexualisierte Gewalt und die politische Ambivalenz des Heimatrocks (Stichwort „Identität“). Völlig aus dem Rahmen fällt das Kapitel über die Gruppe Feine Sahne Fischfilet, für die plötzlich das Kriterium der „Kunstfreiheit“ herhalten muss, ihren Kritikern hingegen der „strategische Gebrauch von Ambivalenzen“ vorgeworfen wird (119-136).

Jens Balzers Buch ist nicht im eigentlichen Sinn „falsch“, doch die vielen kleinen und großen Empörungen verhindern eine durchdachte systematische Analyse der unbestreitbar kritischen Phänomene, die er aufzählt. Der Blick darauf, dass Sprache Wirklichkeiten schafft und die Wirklichkeit verändert, gilt natürlich nicht nur für die populäre Musik – aber aus dieser Beobachtung auf direktem Wege eine Analogie zwischen Pop und Populismus abzuleiten, ist dann doch gedanklich in dieser Kürze etwas schlicht. Balzers Forderung: Eine wache Gesellschaft und ein kritischer Blick auf die populäre Musik durch Politik und Gesellschaft. Das ist ebenso fundamental wie banal, aber aus dem Mund des Autoren Balzer keineswegs trivial. Derselbe Autor, der sich in seinem Buch über Gewalt u.ä. in der Musik echauffiert, plädiert zugleich im politischen Feuilleton des Deutschlandfunks (31.10.2019) für den Hass auf die Menschen, „die bestimmen wollen, wer mehr und wer weniger wert ist“. Hass als Antwort? Hier scheint mir genauso viel Aufmerksamkeit gefordert (als Lesetipp: Carolin Emcke, Gegen des Hass). Das Thema ist wegen des Verbreitungsgrades der besprochenen Musik auf jeden Fall die Aufmerksamkeit wert, Balzer Methodik aber wird ihm nicht gerecht.

Über Verantwortung in der Musik
Hamburg: Edition Körber. 2019
206 Seiten
17,00 €
ISBN 978-3-896848-272-5

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