Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Josef Zemanek: Das Vater-Unser

Diese Untersuchung des christlichen Grundgebets gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil behandelt die Textgrundlage: Hier werden verschiedene Überlieferungen (Matthäus, Lukas und gleichwertig die Redequelle Q) verglichen. Zemanek rekonstruiert daraus eine hebräische und eine aramäische Fassung. Ebenfalls analysiert er zwei lateinische Traditionen und die Textfassung der russisch-orthodoxen Liturgie. Er erarbeitet Grundvoraussetzungen eines für ihn wahrscheinlichen Ursprungstextes, analysiert die Struktur des Vater-Unsers und vergleicht die Ergebnisse mit drei zeitgleichen jüdischen Gebeten. Abschließend untersuchtder Autor die Textfassungen des Vater-Unsers in ihrem jeweiligen Kontext in der Redequelle Q, Matthäus und Lukas.
 
Auf dieser Grundlage analysiert der Heiligenkreuzer Dozent für Bibelwissenschaftdes Alten Testaments im zweiten Teil alle einzelnen Bitten des Vater-Unsers. Dabei geht er im Dreischritt vor: Sprachliche Analyse, semantische Analyse, theologische Analyse/Auswertung und oft ergänzende Exkurse (z.B. zu den Begriffen „Sohn“, „Vater“und „das Böse“). Im knappen Schlussteil bindet er die Ergebnisse der Analyse zusammen und gibt drei Vorschläge für Übersetzungen ins Deutsche.
 
Der Anspruch des Autors ist es, sowohl die theologische Tiefe und Bedeutung dieses christlichen Grundgebets zu heben und zugleich für Studierende der Theologie verständlich zu sein. Inwieweit dies gelingt, hängt im Wesentlichen von der Sprachkompetenz der Leserinnen und Leser ab, denn der Autor arbeitet im zweiten Teil akribisch die grammatikalischen Bestimmungen der einzelnen Wörter ab. Wer die Bedeutungsunterschiede beispielsweisezwischen den verschiedenen hebräischen Aspekten nicht im Ansatz versteht, wird vielen Ausführungen nur blind folgen können – wer sie versteht, könntestattdessen jedoch auch direkt in bibleworks nachschlagen. Was etwas befremdet, ist die Gewichtung der Redequelle Q in der Analyse und der breite Raum, den spekulative Rekonstruktionen einnehmen. Entsprechend kann man über theologische Auswertungen teilweise anderer Meinung sein. Sehr interessant ist der Vergleich des Vater-Unsers (bzw. der einzelnen Bitten) mit zeitgleichen Gebeten aus dem frühen Judentum.
 
Im Vorwort bündelt Zemanek das Ziel der Untersuchung in der Frage nach der Urheberschaft des Gebets, also ob Jesus selbst der Urheber sei oder die frühe Gemeinde (bzw. die Autoren der Evangelien und Redequelle). Durch die Analyse zieht sich seine Grundthese, dass zumindest die Vorlage der Evangelien bzw. der Redequelle auf Jesus zurückgeht, was schließlich auch sein Fazit darstellt: „Gerade unter Berücksichtigung seiner methodisch-systematischen Ausbildung und Erfahrung mit jüdischer Gebetspraxis wird es wahrscheinlicher, dass Jesus gut vorbereitet, vielleicht nach einer einsamen Nacht ‚auf dem Berg‘ (Mt 14,23), seine Jünger gerade dieses (einzige) Gebet gelehrt hat.“ (358) Inwiefern man dieser Art von Auslegung folgen möchte, sei den Leserinnen und Lesern überlassen.
 
Insgesamt ist der erste Teil mit der Grundanalyse des Gebets sicher am informativsten für Menschen, die sich wissenschaftlich mit dem Vater-Unser befassen möchten und auch für Lehrkräfte ggf. eine gute Basis für eine Behandlung des Themas. Das Buch weist sehr viele Tippfehler auf (im Text, in den Fußnoten/Quellenangaben und in den Nummerierungen). Eine sorgfältigere Durchsicht der Druckfassung wäre zu wünschen gewesen.

Würzburg: Echter Verlag. 2017
373 Seiten
29,00 €
ISBN: 978-3-429-04346-9

Zurück