Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jürgen Moltmann: Auferstanden in das ewige Leben

Michel de Montaigne hat 1580 in einem bekannten Essay über den Tod nachgedacht. Philosophieren heiße, so der Denker, sterben lernen. Verschafft die Philosophie eine Art geistigen Schutz gegenüber der Angst vor dem Tod? Der christliche Glaube lädt ein, der Hoffnung zu vertrauen, die über den Tod hinausreicht. Dennoch muten viele Worte über das ewige Leben schal an. Oft schenkt die theologisch versierte Rede den Hinterbliebenen nur wenig Trost.

Über Hoffnung hat der evangelische Theologe Jürgen Moltmann oft nachgedacht. Abstrakt und schwerblütig, wie aus einem Oberseminar, klingt die Frage: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Behutsam wie eindringlich präzisiert Moltmann darum: „Nachfrage: Nach wessen Tod?“ So grenzt er sich von der philosophischen Denkweise ab, die zu einer gewissen Souveränität im Umgang mit dem Tod führen kann, aber egoistisch und mitleidlos bleibt. Moltmann schreibt: „Das eigene Sterben erfahren wir, den eigenen Tod nicht. Den Tod erfahren wir nur an anderen Menschen, die wir lieben. Ihren Tod erfahren wir an unserer Liebe zu ihnen und zu ihrem Leben.“ Es gebe die „bedingungslose Liebe“, die mit Hingabe verbunden sei, als „Ganzsein“ in einem „zerrissenen und unübersichtlichen Leben“ erfahren werde. Geliebte Menschen sterben. Der Autor selbst denkt an den Tod seiner Frau Elisabeth. Mehr sagt er nicht, aber lesend ahnen wir den Horizont seiner Erfahrung. Er spricht von der Ewigkeit als der „ewigen Lebendigkeit“, mit der die „Ursprünglichkeit“ der „erfüllten Zeit“ verbunden sei. In diesem Sinne schreibt er Worte der Ermutigung: „Sehen wir durch den dunklen Horizont des Sterbens hindurch in die Morgenröte des neuen Tages Gottes, dann macht uns die Anfänglichkeit aller Dinge, die wir lieben, lebensvoll.“

Die Evangelisten berichten, so Moltmann, von den Frauen am leeren Grab. Sie hätten „keinen Osterjubel“ angestimmt. Vielmehr erschraken sie, weil die Stimme des Engels ihnen bewusst machte, dass der „Zusammenbruch der Weltordnung von Leben und Tod“ Realität geworden war. Was Maria Magdalena und Maria aus Magdala erfahren – die „neue Wirklichkeit“ –, übersteigt den Horizont menschlicher Erfahrung. Dies sei mit den „Erkenntnismöglichkeiten dieser Welt nicht auszudenken“: „Etwas in dieser endlichen Welt Unmögliches wird Wirklichkeit in der neuen Welt Gottes. … Die Kraft, die Christus von den Toten erweckt hat, ist die göttliche Schöpferkraft, die wirkt wie am ersten Tag der Schöpfung.“ So deutet Moltmann die Auferstehung Christi und fragt nach deren Bedeutung für den Christen heute. Die „Todesschmerzen“ des Menschen seien wie die „Geburtsschmerzen des ewigen Lebens“. Den Augenblick des Todes beschreibt er als den Moment des Erwachens, die „Auferweckungsstunde“ als die „Geburt zum ewigen Leben“. Wir wüssten oder dürften gewiss sein, „dass die Seele des Verstorbenen schon auferweckt und erwacht ist“. Mit „Seele“ meint der Theologe das „Ganze unseres Lebens“, in der Gestalt, „die Gott für uns in seiner zukünftigen Welt vorgesehen hat“. Der sterbliche Leib verschwinde mit dem Tod, aber Gottes Treue bleibe. Die „Seele“, anders gesagt: die Person, werde als „Ganzheit einer Lebensgestalt und Lebensgeschichte … in der Gottesumgebung am Leben erhalten“. Der Sterbende nehme sein „ganzes, gelebtes Leben“ hinein in die „Auferstehung zum ewigen Leben“. Der Geist, der lebendig mache, schenke einen „weiten Lebensraum“, in dem auch jene geborgen und vollendet seien, „die nicht leben durften und nicht leben konnten“.

Christenmenschen dürfen hoffen. Sie erführen sich als getragen von der „Vorfreude auf das ewige Leben in Gott“. Mit glaubensvoller Zuversicht schreibt Moltmann: „Unsere menschliche Liebe zu geliebten Menschen ist auch eine Resonanz der göttlichen Liebe. Darum ist im Glück der Liebe auch ein Funke der Freude Gottes.“ Der glaubwürdige Zeuge der christlichen Hoffnung bekennt: „Unser ‚wahres Leben‘ liegt noch vor uns.“ So weit, so trostreich. Doch einige aber, die ihr Kind, den Lebenspartner, die geliebte Freundin oder die Eltern zu Grabe getragen haben, vermögen nicht so gelassen und glaubensvoll wie Moltmann sich auf diese Hoffnung zu besinnen. Sie möchten vielleicht daran glauben. Ob auch das genügen mag? Ich hoffe sehr. Jürgen Moltmanns authentische, sensible Gedanken über Sterben, Tod und Auferstehung sind lesenswert und stiften zum Nachdenken an.

Über das Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2020
110 Seiten
12,00 €
ISBN 978-3-579-06602-8

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