Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jürgen Werbick: Gegen falsche Alternativen

Jürgen Werbicks neues Buch beinhaltet in acht etwa gleich langen, thematisch und systematisch miteinander verknüpften Kapiteln Ausführungen über zentrale Themen des christlichen Glaubens. Der Autor gibt zunächst (3-16) einen konzisen Überblick über die unterschiedlichen Aspekte einer teilnehmenden, teilenden Theologie, die in den folgenden Kapiteln (17-226) anschaulich entfaltet werden. Das Buch schließt mit einem sehr klaren Ausblick (227-230): Der Theologe plädiert dafür, im Vertrauen auf Gottes Lebensbegleitung, seine Gnade, das Verurteilen hinter sich zu lassen und so konkret wie möglich etwas miteinander anzufangen.

Das 1. Kapitel kennzeichnet die Perspektive der folgenden: Statt sich auf ein dualistisches Entweder-oder zu fixieren, geht es darum, über wichtige gemeinsame Erfahrungen nachzudenken, um so deren Bedeutung im Alltag für die Glaubensentscheidung und das daraus resultierende Handeln zu erkennen. Damit nimmt Werbick immer neu und in Bezug auf unterschiedliche Fragen die Korrelation zwischen der Lebenssituation und der Glaubensüberlieferung, dem christlichen Bekenntnis, in den Blick. Mit Paul Tillich betrachtet er die Korrelation allerdings nicht bloß als eine Frage-Antwort-Struktur, sondern als eine Infragestellung selbstverständlicher Lebenseinstellungen durch die Glaubensüberlieferung.

Im Folgenden bildet jeweils die theologische Auseinandersetzung mit falschen Alternativen die Leitlinie der Darstellung: Fundamentalistischer Glaubensentschiedenheit oder angepasstem Kompromisschristentum (2. Kapitel) geht die Theologie dazwischen, wenn sie über die interpersonale Situation hinaus für die bedingungslose globale Menschenfreundlichkeit Gottes eintritt. Wie solche Glaubensentschiedenheit zu interpretieren ist, thematisiert das 3. Kapitel in Auseinandersetzung mit dem Relativismusvorwurf: Den Glauben zu verstehen, heißt, dem durch das Lehramt überlieferten Glaubensgut verpflichtet zu sein. Aber es gilt gerade den Zeitgenossen gegenüber, die mit dem überlieferten Glauben nichts mehr anfangen können, deutlich zu machen, in welche schiefen Alternativen sich die Theologie bis in die Gegenwart hinein verheddert. So wird die notwendige Klärung zum Gespräch mit den Skeptikern möglich.

Um die Klärung der problematischsten der falschen theologischen Alternativen geht es in den folgenden Kapiteln: Das unbedingte Wohlwollen Gottes, seine Gnade (4. Kapitel), konstituiert den Raum zu menschlichem Miteinander jenseits des Gegensatzes zwischen pessimistischer Sündenfixierung oder der Verheißung emanzipatorischer Selbstoptimierung. Selbstbestimmung der unverfügbaren göttlichen Lebensordnung entgegenzustellen – genau darin besteht bei der Frage nach der Geltung kirchlicher Normen (5. Kapitel) die falsche Alternative. Stattdessen geht es um die Verpflichtung, das Gottesgeschenk eines Lebens aus der Hoffnung zu hüten: Theonomie zeigt sich im Freiheitsimpuls des Evangeliums, durch das Gott es uns leichter machen will. Der Herausforderung dieser entlastenden Botschaft ist die Kirche verpflichtet (6. Kapitel). Ihr ist nichts Menschliches fremd, wenn sie sich den Blick nicht durch verstellendes institutionelles Selbstinteresse trübt. Kirchenmenschen bezeugen und engagieren sich vielmehr für Räume eines sinnvollen, gotterfüllten Lebens, das den Mitmenschen verpflichtet ist. Für die im Alltagsumfeld zu kurz Gekommenen und Vergessenen könnte so die Neuevangelisierung beginnen.

Mit seiner Proexistenz verkörpert Jesus die Solidarität Gottes, das größtmögliche Geschehen (7. Kapitel). Die Theologie kann zeigen, dass es in der Mitte des christlichen Glaubens um die unbedingte Menschenverbundenheit geht, die theonom ist, vom befreienden Gott kommt. Um Gottes Macht geht es im 8. Kapitel. Die Theodizeefrage provoziert in diesem Zusammenhang immer neu die Entscheidung, ob man sich in den Stürmen und Ratlosigkeiten des Lebens in der Nachfolge des Gekreuzigten vertrauend dem „Unbekannten (Gott?)“ (224) in die Arme werfen darf.

„Gegen falsche Alternativen“ ermutigt die Leser zu persönlicher Reflexion über zentrale Probleme im aktuellen (Glaubens)Gespräch. Werbicks Buch entfaltet eine dialogische Theologie, die „dazwischen kommt“, sich am Menschlichen interessiert beteiligt. Im Zwischen öffnet sich der Raum zum selbstkritischen Miteinander. Das überwindet Fixierungen und Verurteilungen. Das Interesse des Theologen an den für die Zeitgenossen aktuellen Fragen ist in dessen christlichem Glauben begründet. Denn Jesus Christus verkörpert das große Fragezeichen in einer Welt, die Gottes Zusage oft genug zum Schweigen bringt. Es lohnt sich, Werbicks differenziert akzentuiertes Glaubenszeugnis Schritt für Schritt nachzuvollziehen und über Gottes Zusage ins Gespräch zu kommen. Gegen vorschnelle Antworten hält es die Fragen offen.

Warum dem christlichen Glauben nicht Menschliches fremd ist
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2021
242 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-7967-3258-7

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