Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Julia Knop / Michael Seewald (Hg.): Das Erste Vatikanische Konzil

Aus zahlreichen Perspektiven widmen sich Theologinnen und Theologen dem Ersten Vatikanischen Konzil, dem historischen Umfeld und der Wirkungsgeschichte. Mit Julia Knop und Michael Seewald fungieren zwei prominente Stimmen aus der jungen Generation der katholischen Dogmatik als Herausgeber.

Theologiegeschichtlich erhellend ist der Beitrag von Florian Baab. Er zeigt auf, dass im 19. Jahrhundert eine theologische Sensibilität für Fragen der Zeit bestanden hat; seinerzeit wurde etwa über den religiösen Zweifel diskutiert. Nüchtern schreibt der Verfasser, dass die fundamentaltheologische Aufgabe nicht darin bestehe, den Glauben einfach nur inhaltlich zu verteidigen. Man müsse vorab die Notwendigkeit einer Verteidigung des Glaubens überhaupt erst erkennen. Baab weist also auf oft übersehene Nuancen hin. Ähnlich beschreibt Klaus Schatz die Hoffnungen der gläubigen Katholiken: „Die Menschen, ernüchtert von den Illusionen, ermüdet von der Gegenwart, voller Angst vor der Zukunft, erwarteten vom Papst Sicherheit.“ Die Kirche erscheint somit auch als Garant der Hoffnung in einer skeptisch beurteilten Moderne.

Über die gegenwärtig erörterten Evangelisierungskonzepte denkt Christian Bauer nach und stellt die „Diskurspraktiken erstvatikanischer Offenbarungstheologie“ den „Praxisdiskursen zweitvatikanischer Evangelisierungspastoral“ gegenüber. Letztere verbindet er mit den Päpsten Paul VI. und Franziskus. Johannes Paul II. habe indessen eine „evangelisatorische Einbahnstraße“ gewählt, die dann auch Benedikt XVI. verfolgt habe. Bauer wirbt für eine neue Glaubwürdigkeit. Er spricht sogar, mit Blick auf den Klerikalismus, von einer partiell „menschenfeindlichen Kirche“. Hans-Joachim Höhn erörtert stabile Unklarheiten hinsichtlich des Unfehlbarkeitsdogmas und fragt, wie weit die „Verbindlichkeit päpstlicher Lehräußerungen zu Glaubens- und Sittenfragen“ eigentlich reiche.

Zum Erbe des Ersten Vatikanischen Konzils zähle auch, wie Georg Bier schreibt, dass die Kirche „papstzentriert“ sei. So habe das Volk Gottes heute das „katholische essential“ verinnerlicht, „wonach es in der katholischen Kirche allein auf den Papst ankommt“ und auf dessen Entscheidungen. Von der „dogmatisierten Gestalt des Papstamtes“ spricht Michael Seewald, die auch „undifferenzierten Bedrohungsnarrativen“ des 19. Jahrhunderts geschuldet gewesen sei. Die „Gemeinschaft der Glaubenden“ sei der „primäre Träger des Glaubens“.

Julia Knop würdigt den Begriff Synodalität. Es gehe dabei nicht um die „Einrichtung der Weltorganisation Kirche“, sondern um eine „kirchliche Geisteshaltung“, um den „Mut zum offenen Wort, das freimütig gesprochen und demütig angehört werden möge“. Die meisten Christen würden sich eine solche Haltung wahrscheinlich wünschen, zugleich aber ist die Abstraktheit dieses Gedankens ersichtlich. Johanna Rahner bestärkt Knops Reflexionen. Die „Passivität des Zuhörens und gläubigen Annehmens“ müsse durch ein „aktives Mitwirken aller“ sichtbar gefördert und wirksam werden. Dazu gehöre auch die Integration demokratischer Elemente in die Kirche, wie „allgemeine Teilhabe an der Macht, Machtkontrolle und prinzipielle Begrenzung von Macht“.

Ein Beispiel für die Anpassung der Kirche an die moderne Welt zeigt der Politikwissenschaftler Mariano Barbato auf. Er äußert sich zur Medienpräsenz des Kirchenoberhauptes. Der Papst agiere als „Akteur auf der Bühne der säkularen Öffentlichkeit“, nehme die „Rolle des massentauglichen Popstars im Drama der Moderne“ ein und sei „celebrity und expressiver Künstler“ zugleich. Franziskus wirke wie ein „innovativer Volksschauspieler mit Reformagenda“: „Seine zugespitzte, ökologisch aufgerüstete Kapitalismuskritik bei abgeschwächter Kulturkritik treibt geschickt einen Keil ins liberale Lager der Moderne.“ Befördert Franziskus, gewollt oder nicht, möglicherweise sogar den Papst-Kult heute? Der Münsteraner Politikwissenschaftler liefert interessante Außenperspektiven. Von solchen kann Theologie und Kirche heute nur lernen. Allein solcher Beiträge wegen ist dieser Band lesenswert.

Eine Zwischenbilanz 150 Jahre danach
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2019
334 Seiten
62,00 €
ISBN 978-3-534-27136-8

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