Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Karl-Heinz Menke: Inkarnation

 

Titel wie Untertitel dieser Einführung in die Mitte der christlichen Botschaft verweisen präzise auf den Inhalt und das zentrale Anliegen. Was der Verfasser an Grundgedanken in vielen seiner Schriften über Jahrzehnte hinweg thematisch weit gestreut entfaltet und in bisweilen steilen Thesen profiliert hat, lässt er jetzt – konzentriert auf seinen ganz und gar christologisch zentrierten Denkansatz – in eine gut lesbare und spannende Einführung ins Christentum münden.

Das Buch beginnt mit gezielten Hinweisen zum besseren Verständnis und zur Absicht. In sieben Kapiteln handelt Karl-Heinz Menke – dezidiert katholisch perspektiviert – von Christus und seiner Kirche. Was es bedeutet, dass der Mensch Jesus „die Offenbarkeit Gottes“ ist, also die „Offenbarkeit JHWHs“, wird im ersten Kapitel (A) entfaltet; die tiefe Verwurzelung des Christlichen im Jüdischen wird deutlich. Anschließend (B) steht „das historische Faktum der Inkarnation“ im Zentrum; mit ihm „steht oder fällt“ (13) das Christentum. Im dritten Kapitel (C) wird dargelegt, inwiefern das christliche Denken die griechische Ontologie und die griechisch-römische Anthropologie revolutioniert mit seinem Bekenntnis, dass „die Person des innertrinitarischen Sohnes als wahrer Mensch“ in Raum und Zeit gelebt hat. Die lebenspraktischen Konsequenzen dieser Überzeugung werden bereits angedeutet, wenn das Christsein als „Eingestaltung in die Inkarnation des Sohnes“ verstanden wird. Das vierte und fünfte Kapitel (D und E) stellen die Ereignisse vor, die mit den ganz großen christlichen Themen wie Inkarnation, Sünde, Bundes-Gott, Auferstehung und Vollendung verbunden sind. Das sechste Kapitel (F), in dem die Auseinandersetzung mit dem Protestantismus erfolgt, entwirft in Grundzügen eine „eucharistische Ekklesiologie“. Sie wird einer „desinkarnierten Ekklesiologie“ gegenübergestellt, bei der die eigentliche Kirche im Grunde genommen eine unsichtbare Größe bleibt. Der Akzent liegt in diesem Kapitel auf der „Untrennbarkeit der Kirche von Christus“, und betont wird, dass ein „desinkarniertes Christentum“ (195) unmöglich ist. Was „gelebte Inkarnation“ konkret bedeuten kann, wird im abschließenden 7. Kapitel (G) deutlich. Spätestens jetzt dürfte vollends klar geworden sein: „Das Verstehen der Inkarnation“ ist lebenspraktisch nur dann möglich, wenn das, was inhaltlich geglaubt, auch existenziell (mit)vollzogen wird. Denn im Tun erst eröffnet sich die Wahrheit, die im Christentum identisch ist mit einer Person (Joh 14,6).

Ganz am Ende steht ein ausführliches Schlusswort (325-332), das die einschneidenden Konsequenzen zieht, die sich aus dem Zentraldogma der Inkarnation im Verbund mit dem der Trinität für das Verständnis des Menschen ergeben. Es geht im Christentum entscheidend um das radikale Ernstnehmen der „unbedingten Würde der Einzelperson“ (330): „dass jeder und jede […] eine mit nichts aufzuwiegende Singularität ist“ (331), „einmalig und unendlich viel wert“ (332), „ein Wesen nämlich, das man nicht antasten darf“ (332). Es geht also zentral um eben dieses die Welt bewegende „Ereignis der Inkarnation“ (161), das nur dort wirklich verstanden werden kann, wo Menschen sich einbeziehen lassen in dieses Geschehen von Gott her und am eigenen Leib deutlich zu verstehen geben: dass „jeder Mensch als je Einzelner (!) von Gott für immer gewollt und un-bedingt (!) geliebt“ (161) ist.

Die zuletzt erschienenen theologischen Bücher von Karl-Heinz Menke sind allesamt unbestreitbar streitbar. Auch dieses. Es reizt nicht nur zur denkerischen Auseinandersetzung mit den dargebotenen Inhalten, sondern seine provokante Parteilichkeit und Klarheit in einigen derzeit hochumstrittenen theologischen Fragen (vgl. z. B. 311-324 die Frage nach der Frauenordination oder die nach der Unterscheidung zwischen einem gemeinsamen Priestertum und einem besonderen Priestertum) wird nicht wenige verärgern. Sinn und Zweck des vorliegenden Buches scheint mir allerdings ein ganz anderer zu sein. Es geht nicht um eine Streitschrift, sondern um eine – bisweilen sogar recht persönliche – Einladung zum christlichen Glauben. Das Unbequeme und Befremdliche, das Anstößige und Ärgerliche, auf das die Leserinnen und Leser im Buch immer wieder treffen, hat damit zu tun, dass das genuin Christliche selbst recht unbequem und befremdlich, ja anstößig und ärgerlich – im Sinne von „ärgerlich konkret“ (311) – ist, weil es bisweilen quer steht zu unserem gängigen Denken und Handeln und das, was uns so plausibel erscheint, unterbricht oder gar durchstreicht. Zu denken wäre hier vor allem an unsere bevorzugt funktionale Sicht der Wirklichkeit. Für den Verfasser gilt: „Nicht in der Anpassung der Jesus-Geschichte an die eigene Existenz, sondern umgekehrt in der sakramentalen Bezogenheit der eigenen Existenz […] auf die neutestamentlich bezeugte Existenz Jesu […] liegt der Schlüssel zum wahren Christsein.“ (284)

Was an Menkes neuestem Buch sicherlich nicht überrascht, ist die starke christologische Zentrierung seiner Gedankenführung, ebenso nicht die deutliche Profilierung der sakramentalen Denkform des Katholizismus. Noch weniger erstaunlich ist, dass es für ihn nur eine – letztlich (vor)gegebene – Wahrheit gibt und diese eine Wahrheit im Christentum nur als Person, nämlich die konkrete Person Jesus von Nazareth, verstanden werden kann. Selbst die besonders enge Verbindung von Dogmatik und Spiritualität wundert nicht. Erstaunt hat mich, wie sehr dieses Werk mich selbst beim Lesen hineingezogen hat in die Darstellung. Zeitweise war ich geradezu ergriffen von dem, was über das entscheidend Christliche zu lesen ist. Die Mitte des gelebten Christentums bildet nämlich, und eben das wird überdeutlich, ein dynamisches Beziehungsgeschehen, bei dem die Wahrheit zu verstehen gibt, dass sie mich braucht.

Für diejenigen, die sich mit dem Wesen des Christentums in seiner katholischen Spielart vertraut machen möchten, ist dieses Werk überaus erhellend und wärmstens zu empfehlen. Das alle großen Themen des Christentums inkarnationslogisch verbindende Buch kann man lesen als eine Auslegung des „Symbolum Apostolicum“ wie auch als eine Erklärung der Feste des Kirchenjahres. Vor allem gibt es bedeutsame Impulse, intensiv über die konkrete Ausgestaltung der eigenen Liebe zu Christus nachzudenken.

Das Ende aller Wege Gottes
Regensburg: Verlag Friedrich Pustet. 2021
366 Seiten
34,95 €
ISBN 978-3-7917-3289-3

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