Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Karl-Siegfried Melzer: Den 1. Johannesbrief heute lesen

Dieser (Kurz-)Kommentar zum 1. Johannesbrief des pensionierten Pfarrers Karl-Siegfried Melzer ist eine gelungene Hinführung in exegetische und bibeltheologische sowie religionskritische Fragestellungen für Religionslehrerinnen und -lehrer in der Sekundarstufe I und II. „Im Vorfeld“ werden einige einleitungswissenschaftliche (Er-)Klärungen zum 1. Johannesbrief – ohne Angabe des Verfassers und des Adressaten bzw. der Gemeinde wegen der „johanneischen Gemeinschaft im Ganzen“ (79) – kurz und prägnant gegeben, die der Rezensent ebenso teilt wie zum Beispiel die, dass die „Offenbarung ‚des Johannes‘“ nicht zu den johanneischen Schriften gehört. Diese Schrift greift der Autor nach einer 65-seitigen Durchsicht des 1. Johannesbriefes nochmals auf, um auf die eingangs kurz angeschnittenen Thesen ausführlicher einzugehen und Position zu beziehen.

Pädagogisch klug wird der Leserschaft „ein Gang durch den 1. Johannesbrief“ als Endtextbetrachtung samt den theologischen (Vater-Sohn-Verhältnis, Präexistenz, Inkarnation und Parusie Jesu von Nazaret als „Sohn Gottes“ und „in Wasser und Blut“ (1 Joh 5,6), als von Gott in die Welt gesandter Retter (vgl. 1 Joh 4,14)) hamartiologischen, schöpfungstheologischen, soteriologischen, eschatologischen und ekklesiologischen Grundintentionen vorgeschaltet. Erst danach folgen die einleitungswissenschaftlichen und wirkungsgeschichtlichen sowie aktualisierenden Überlegungen des Autors. So thematisiert Melzer exemplarisch im Sinne einer Wirkungsgeschichte den sog. „Antichrist“ einerseits als „Pseudo- bzw. „Lügenpropheten“ und als doketische/gnostische „Abtrünnige“ von der johanneischen Glaubensgemeinschaft und anderseits auf „Gott ist Liebe“ als das Attribut Gottes im Sinne eines „wechselseitige(n) Ineinander-Sein(s)“ (82), „vom Bleiben Gottes in uns und unserem Bleiben in Gott“ (114), mit anderen Worten: „... im Sein und Bleiben in der Liebe Gottes, die ein für allemal durch Jesus Christus vermittelt worden ist“ (130). Der Aspekt „Antichrist“ wird mithilfe des Romans „Der Name der Rose“ von Umberto Eco und Martin Luthers Vergleich anlässlich der „Institution des Papsttums selbst“ (99) in seiner „Vorlesung über den 1. Johannesbrief“ (1527) dargestellt. Für die Aussage „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16) werden als Referenzen sowohl die Enzyklika „Deus caritas est“ von Papst Benedikt XVI. (2005) als auch aus polemischer Sicht das Opus „Das Wesen des Christentums“ (1814) des Philosophen Ludwig Feuerbach angeführt.

„Den 1. Johannesbrief heute lesen“ endet konsequenterweise mit 24 Seiten „Impulsen für das Nachdenken über den christlichen Glauben heute“, um im Sinne der Gadamer‘schen „Horizontverschmelzung“ den antiken Text (aus dem Anfang bzw. der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts) im 21. Jahrhunderts zu lesen, zu verstehen und „weiterzudenken“ (107) sowie daraus im Esprit Gottes respektive des „Lebensbringer(s)“ (116, 118) Christi im alltäglichen Leben und darüber hinaus an anderen zu handeln (vgl. 1 Joh 4,11-12)! Diese Aktualisierung im Sinne der „Lectio Divina“ für das theologische, spirituelle und christlich-ethische/moraltheologische sowie katechetische Verständnis im Hier und Heute wird durch eine hilfreiche, subjektiv kommentierende Literaturliste des Autors abgerundet.

Im Unterschied zum „Markusevangelium“ von Klaus Bäumlin von 2019 (s. Eulenfisch Literatur 1_2020) liegt hier eine leserfreundliche Darstellung des 1. Johannesbriefes vor, die für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I und besonders in der Sekundarstufe II sowie für die Katechese sehr sachdienlich und informativ ist.

Zürich: Theologischer Verlag Zürich. 2021
139 Seiten m. farb. Abb.
14,90 €
ISBN 978-3-290-18392-9

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