Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Klaus von Stosch / Mouhanad Khorchide (Hg.): Streit um Jesus

Muslimische und christliche Annäherungen

Der Topos „Streit um Jesus“, der als Titel des Sammelbandes gewählt wurde, ist eigentlich ein genuin christlicher, verweist er doch darauf, dass spätestens seit dem 2. Jahrhundert in der frühen Kirche die theologischen Debatten über die Frage nach dem Mensch- und Gottsein Jesu Christi an Zahl und Vehemenz stark zugenommen haben. Die christologischen Dogmen sowie die Ausformulierungen der Trinitätstheologie sind die Frucht dieser innerkirchlichen Auseinandersetzung, die sich über mehrere Jahrhunderte hinzog.

Die Übernahme dieses Topos in den christlich-islamischen Dialog hinein ist dahingehend nachvollziehbar, dass der Islam eine eigene Jesus-Tradition entwickelt hat, die die christlichen Theologien bis heute irritiert und – beginnend bei Johannes von Damaskus (ca. 650 – 754) – zu konfliktiven Disputen über die Wahrheit der jeweiligen Deutungen und das Auslegungsmonopol geführt hat. Die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes knüpfen in ihren Beiträgen bewusst nicht an diese historischen und zum Teil bis in die Gegenwart reichenden christlich-islamischen Kontroversen an, sondern versuchen, ganz im Sinne des Ansatzes der Komparativen Theologie, Gemeinsames und Anknüpfungspunkte zu entdecken und das Verschiedene ohne Polemik zu benennen und zu begründen. Von daher wird die Wahrheitsfrage nicht ausgeklammert, aber sie dient nicht mehr dazu, starre Trennungslinien zu ziehen und starke Konflikte zu entfesseln. Stattdessen wird sie als Begründungszusammenhang aus der je eigenen religiösen Tradition verstanden, der – um ein Bild zu gebrauchen – deutlich macht, welche Wege gemeinsam gegangen werden können und welche Wege man durchaus getrennt gehen muss, wobei beide Wege sich zu einer Parallele hin gabeln, um trotz dieser Verschiedenheit weiter gegenseitig sichtbar im Gespräch bleiben zu können. 

Die Aufsätze des Sammelbandes sind aus einer Expertentagung, die 2014 zu dem Forschungsprojekt „Christologie – Die Besonderheit Jesu Christi im Islam und Christentum“ durchgeführt wurde, entstanden und sind innerhalb dreier thematischer Blöcke dialogisch aufeinander bezogen. Dieser gegenseitige Bezug in Rede und Gegenrede macht den Reiz des Buches aus. Seine Herkunft aus einer Expertentagung verlangt aber Einiges an Vorwissen, elaborierter Begrifflichkeit und an Englischkenntnissen (zwei Aufsätze) ab. Wer sich darauf einlässt, kann aber viel Neues entdecken, zumal mit Hajj Muhammad Legenhausen und Tolou Khademalsharieh Ansätze aus der schiitischen Theologie in den Fokus geraten, die jedenfalls in Deutschland eher selten zu finden sind.

Die inhaltlichen Schwerpunkte drehen sich um die Fragen nach den koranischen Zugängen zu Jesus Christus, den koranischen Jesusversen im Kontext der Spätantike sowie den christlichen Zugängen zu Jesus Christus im Dialog mit islamischer Theologie. Dabei zeigt sich zum einen, dass die alten Trennungslinien zwar bleiben (Göttlichkeit Jesu Christi, Trinität, stellvertretender Tod am Kreuz), zum anderen sich aber neue Erschließungszusammenhänge ergeben. So wird z.B. die Christologie zum Anstoß für die islamische Theologie, sich neu mit den koranischen Aussagen über Jesus als Wort und Geist Gottes auseinandersetzen. Auf der anderen Seite besteht muslimischerseits die Frage, ob die Aussagen des Korans über Jesus nicht für die christliche Theologie ein locus alienus sein kann. Auch die hohe Bedeutsamkeit Jesu für die Imamologie der Schia oder die Abwehr gnostischer Jesusbilder durch den Koran eröffnen neue und überraschende Verständnismöglichkeiten.

Letztendlich sind in dem Sammelband die christlichen Theologen optimistischer, was die Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Aussagekontexten hinsichtlich Jesus Christus anbelangt. Die muslimischen Theologinnen und Theologen sind in ihrem Urteil zurückhaltender. Der schiitische Theologe Hajj Muhammad Legenhausen benutzt aber die thematische Auseinandersetzung, um in seinem Fazit in einem seiner beiden Aufsätze insgesamt den Ansatz der Komparativen Theologie, wie er von Klaus von Stosch vertreten wird, sehr positiv zu würdigen. Indem sie gegenseitige Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Religionen wahrnimmt und präzise herausarbeitet, ohne Synkretismen oder Konflikte zu bewirken, ist sie Aufklärung im besten Sinne. Dieses Interesse an anderen Religionen und an Aufklärung vermisst aber Legenhausen in vielen Teilen der gegenwärtigen islamischen Theologie. Die Entwicklung eines eigenen muslimischen Ansatzes komparativer Theologie könnte dies ändern. Damit verbunden wäre seiner Meinung nach eine starke Aufwertung der systematischen Theologie (Kalam) im Islam, die schon längere Zeit eher ein Randdasein führt, aber eigentlich ins Zentrum gehört. So ist letztendlich der Ansatz der Komparativen Theologie interreligiös hochproduktiv, sei es in thematischer, sei es in konzeptueller Hinsicht.

Beiträge zur Komparativen Theologie Bd. 21
Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag. 2016
282 Seiten
34,90 €
ISBN 978-3-506-78256-4

 

Zurück