Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Konrad Schmid: Die Bibel. Entstehung, Geschichte, Auslegung

Eine meisterhafte Einführung in die Bibel auf dem neuesten Forschungsstand.“ Das verspricht der Rückentext dieser Publikation von Konrad Schmid, der an der Universität Zürich als Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte tätig ist und im Jahr 2019 zusammen mit Jens Schröter im C.H.Beck Verlag das Buch „Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften“ veröffentlicht hat. Es liegt die Vermutung nahe, dass das im selben Verlag und in der Reihe Beck Wissen erschienene Werk gewissermaßen das kleinere Geschwister der umfangreicheren Koproduktion ist.

Auf das einleitende Kapitel unter der Überschrift „Was ist die Bibel?“ (7-16) folgen der umfangreiche zweite Teil „Die Schriften der Hebräischen Bibel“ (17-77), der dritte Teil „Die Schriften des frühen Christentums“ (78-93) und als vierter „Die Formierung der jüdischen und der christlichen Bibel“ (94-104). Der fünfte und letzte Teil „Ausbreitung, Auslegung und Wirkung der Bibel“ (105-119) bildet den Abschluss, bevor eine Zeittafel, Literaturhinweise, Bildnachweise und ein Register das Buch abrunden. Diese grobe Gliederung ist in sich stringent und gut nachvollziehbar. Sie ließ – auch aufgrund der Reihe und des Textes auf dem Bucheinband – im Rezensenten die stille Hoffnung keimen, bei dem handlichen und kompakten Buch könnte es sich um eine hilfreiche Lektüre handeln sowohl für Studienanfänger als auch für eine grundsätzlich interessierte, aber biblisch-christlich eher unbedarfte Leserschaft, um profund und doch nicht zu ausladend in die Welt der biblischen Schriften eingeführt zu werden.

Beim ersten Hineinlesen und passagenweise ist das Büchlein tatsächlich sympathisch zu lesen. Eine Publikation dieses Formats darf durchaus nonchalant und ohne einen großen Fußnotenapparat geschrieben sein. Schließlich dürfte es – so die Annahme des Rezensenten und die vom Verlag C.H. Beck auf dessen Homepage selbst anvisierte Zielsetzung – konzipiert sein als eine „konzentrierte Information“ über die Bibel als wichtiges Gebiet aus dem Raum der Kulturwissenschaften. Doch tauchte mit fortschreitender Lektüre immer öfter die Frage am Lese-Horizont auf: „Für wen ist dieses Buch überhaupt geschrieben?“

Bei manchen Passagen wird derart detailliert argumentiert, dass ein fachfremder und doch interessierter Leser letztlich alleingelassen wird. Als Beispiel möge folgender Ausschnitt dienen: „Im Judentum der hellenistisch-jüdischen Zeit bildeten sich für die Schriftensammlung der späteren Hebräischen Bibel unterschiedliche Bezeichnungen heraus. Die Wendung «das Gesetz und die Propheten» findet sich in 2. Makkabäer 15,9; 4. Makkabäer 18,10 oder im Testament Levis 16,2.“ (94) Auch wenn sich in der tabellarischen Übersicht unterschiedlicher Bibel-Kanones (8-10) und der einzelnen Bezeichnungen der biblischen Bücher wenigstens das 2. und 4. Makkabäer-Buch wiederfinden (das Testament Levis bleibt außen vor), hat ein fachfremder Leser bislang keinerlei Hilfestellung erhalten, wie und wo sich die genannten Stellen finden lassen. Dem Unkundigen fehlt es an dieser Stelle schlichtweg am Handwerkszeug, selbst an Hinweisen auf Abkürzungen der biblischen Bücher. Und nicht zuletzt bleibt unklar, wozu die erwähnten Informationen überhaupt dienlich sind. Diese Metaebene klar und strukturiert darzustellen, darauf hätte nach Ansicht des Rezensenten abgezielt werden sollen.

Die Frage nach dem Wozu stellt sich auch bei manch anderen Formulierungen, wie beispielsweise im Abschnitt „Die prophetische Überlieferung“ (32-35), wo zu lesen ist: „Besonders deutlich lässt sich dies an Hosea 4-11 erkennen. Dieser Textbereich ist nicht durch Zwischenüberschriften unterbrochen und nötigt die Leserschaft, von einem Text zum nächsten weiterzulesen.“ Welche Zwischenüberschriften meint Konrad Schmid an dieser Stelle? Vermutlich sind die Zwischenüberschriften in den jeweiligen Bibelausgaben gemeint. Doch kommen alle deutschsprachigen Bibelausgaben für Hos 4-11 ohne Zwischenüberschriften aus? Und setzt diese Formulierung im Buch nicht auch voraus, dass alle Bibelausgaben eine identische Perikopeneinteilung vornehmen? Kurzum: Die zitierte Stelle gehört zu denen, die im Rezensionsexemplar ein großes Fragezeichen am Rand tragen.

Beim Umgang mit dem Begriff „Bibel“ würde sich der Rezensent von Konrad Schmid mitunter etwas mehr Differenziertheit wünschen (vgl. vor allem S. 7-12). Freilich liegt der Charme der kanonübergreifenden Verwendung des Begriffes Bibel darin, dass es sich jeweils um die für die Rezeptionsgemeinschaft heilige Schrift handelt, doch werden ohne eine entsprechende Differenzierung theologische Unterschiede und Konzeptionen zwischen den einzelnen Rezeptionsgemeinschaften verwischt.

So detailliert und schwer nachvollziehbar die Argumentation für fachfremdes Publikum an der einen oder anderen Stelle ist, so erstaunt die Oberflächlichkeit mancher als Selbstverständlichkeit hingestellten Behauptung wie etwa dieser: „Jesus konnte lesen und schreiben, wie seine in den Evangelien dokumentierten Diskussionen mit den Pharisäern und den Schriftgelehrten zeigen.“ (79) Eine gewagte, wenn nicht sogar verwegene Feststellung, für die eine Verifizierung schwierig zu finden sein dürfte und die ebenfalls mit einem großen Fragezeichen am Rande versehen wurde.

Abschließend nochmals zurück zur Leitfrage: Welche Leserschaft hatten der Autor und der Verlag für diese Publikation vor Augen? Eine bibeltheologisch und exegetisch vorgeprägte Leserschaft? Dann verwundert die Publikation in der thematisch sehr breit aufgestellten Reihe C.H.Beck Wissen. Oder eine fachfremde Leserschaft, die allenfalls einen Erstkontakt mit biblischen Texten für sich reklamieren kann? Dann verstrickt sich der Autor an nicht wenigen Stellen in Details, die nach dem Wozu im Gesamtkontext fragen lassen. Und apropos Leserschaft: In einer Zeit, wo für jegliche Leserschaft schon viele Quellen und Texte digital greifbar sind, wäre es nach Ansicht des Rezensenten kein Ausdruck von Luxus gewesen, bei den Literaturangaben auch fundierte Homepages zu erwähnen.

Summa summarum: Dem Prädikat „meisterhaft“, das der Text Buchumschlages dem Büchlein zuschreibt, wird die Publikation bedauerlicherweise nicht gerecht.

C.H. Beck Wissen
München, C.H. Beck Verlag. 2021
128 Seiten m s-w Abb.
9,95 €
ISBN 978-3-406-77304-4

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