Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Konrad Schmid / Jens Schröter: Die Entstehung der Bibel

 

Die beiden Exegeten Konrad Schmid (Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich) und Jens Schröter (Professor für Neues Testament und neutestamentliche Apokryphen an der Humboldt-Universität zu Berlin) legen mit dem zu besprechenden Buch eine Entstehungsgeschichte der Bibel vor, die sich weniger – wie man es z.B aus Einleitungen in das Alte und Neue Testament gewohnt ist – mit den Inhalten der einzelnen Bücher auseinandersetzt als vielmehr mit der Genese und Entwicklung des biblischen Kanons, wobei ein Teil des Buches dem Alten und ein weiterer Teil dem Neuen Testament gewidmet ist. Die jeweiligen Teile stehen aber nicht unverbunden nebeneinander, da das Buch ebenfalls beschreibt, wie Judentum und Christentum sich bei der Bildung des Kanons gegenseitig beeinflussen. Hier sind besonders die Kap. 5 (Rezeption jüdischen Schrifttums im entstehenden Christentum) und 7 (Formierung des Kanons im Judentum in Abgrenzung zum Christentum) zu nennen.

Nach einem einleitenden Kapitel zu den „Bibeln“ von Judentum und Christentum, ihrer Benennung, Aufteilung, frühesten Überlieferung in Papyri und Handschriften und ihrer Tradierung als ganzer, wenden sich die Autoren der Literaturproduktion in den einzelnen Epochen der alt- und neutestamentlichen Zeit zu, die in der Königszeit im 10. Jh. v. Chr. mit den Anfängen der Hebräischen Bibel startet und mit der Entstehung der neutestamentlichen Schriften (1./2. Jh. n. Chr.) endet. In jedem Kapitel werden auch andere biblische Texttraditionen (v.a. in und neben dem Judentum: Schriften vom Toten Meer, Septuaginta, samaritanischer Pentateuch) bzw. die literarische Auseinandersetzung mit biblischen Texten (Philo von Alexandria, apostolische Väter, Mischna und Talmud) berücksichtigt.

Jede Epoche wird auf dem Hintergrund der neuesten exegetischen Forschungsliteratur besprochen und eingeordnet. Nach einer historischen Einführung in die jeweilige geschichtliche Periode werden die biblischen Bücher der jeweiligen Zeit in den Blick genommen. Dabei geht es weniger um die Darlegung des Inhalts als vielmehr um die theologischen Konzepte, die mit den einzelnen Schriften verbunden sind, und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen bzw. wie es zu ersten Sammlungen und Zusammenstellungen mehrerer Bücher kommt. Abgerundet wird das Buch mit Bemerkungen zur Wirkungsgeschichte der Bibel, wobei der Schwerpunkt auf den Bibelübersetzungen, der Verwendung der Bibel in Judentum, westlichem und östlichen Christentum sowie in der bildenden Kunst liegt.

Schmids und Schröters Band liefert in guter und nicht zu ausufernder Form eine stets an der Textüberlieferung orientierte Beschreibung des Werdens der Bibel. Außerbiblische Texte werden ebenfalls besprochen, wenn sie zum Verständnis der biblischen Texte beitragen und deren jeweiliger Epoche angehören. Dadurch bekommt man auch die wichtigsten Informationen zu den sog. „apokryphen“ Schriften geliefert. Diese Ausflüge in die jüdische und christliche Literatur neben der Bibel tragen wesentlich dazu bei, den Entwicklungsprozess der Kanonwerdung zu verstehen. Man bekommt einen guten Einblick, wie vielgestaltig die literarische Produktion innerhalb des Juden- und Christentums war und dass sie sich unterschiedlichen Trägerkreisen verdankt, deren Schriften aufgrund historischer Entwicklungen entweder „kanonisch“ oder „apokryph“ wurden. Damit ist „Die Entstehung der Bibel“ eine Literaturgeschichte des Biblischen Textes, die die Synthese des Kanons deutlich macht, aber auch die Mechanismen, die dazu führten, dass einzelne Werke dort keine Aufnahme fanden. Gleichzeitig wird die Einbettung der Bibel in die jeweiligen historischen Kontexte und religiösen Strömungen ihrer Zeit sichtbar, denn sie ist nicht „vom Himmel gefallen“.

Das Buch ist gut und leicht verständlich geschrieben. Wenn man sich nur für eine bestimmte Epoche oder ein bestimmtes Thema interessiert, sind die einzelnen Kapitel auch losgelöst vom Buchganzen rezipierbar. Die Urteile und Thesen der Autoren über Entstehung und Formierung der Bibel sind vorsichtig, ausgewogen und an die aktuelle Forschung angebunden. Abbildungen lockern den Text auf und sind v.a. für die Beschreibung der Wirkungsgeschichte der Bibel in der bildenden Kunst unabdingbar. Mehrere Verzeichnisse und Register (Literaturverzeichnis, Bibelstellenregister, Register antiker Autoren und Schriftsteller, Namen- und Sachregister) helfen bei der schnellen Erschließung des Bandes. Endnoten entlasten den Fließtext. Sowohl die Endnoten als auch das Literaturverzeichnis sind kapitelgegliedert, so dass sich die dort in Kurzzitat angegebene weiterführende Literatur leicht finden lässt.

Mit ihrer lesenswerten Studie zeigen die Autoren mit beeindruckender Sachkenntnis auf, „dass die Bibel Ergebnis vielfältiger jahrhundertelanger Entwicklung ist; dass sie kein einheitliches Dokument ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven auf den Gott Israels und sein Handeln in der Geschichte widerspiegelt; dass sie schließlich eine reiche Wirkungs- und Auslegungsgeschichte in Gang gesetzt hat, die Juden und Christen im 21. Jahrhundert im Blick haben sollten, wenn sie die Bibel verstehen, sie auslegen, mit ihr und aus ihr leben wollen“ (401).

Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften
München: C. H. Beck Verlag. 2019
504 Seiten m. s-w Abb.
32,90 €
ISBN 978-3-406-73946-0

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