Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Kurt Kardinal Koch: Wohin geht die Ökumene?

Um den heutigen Stand des ökumenischen Anliegens in der Welt zu beurteilen, bedarf es eines größeren Überblicks. Wer könnte ihn auf katholischer Seite qua Amt besser haben als der jetzige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen Kurt Kardinal Koch? Es war sicher zu erwarten, dass der Kardinal eine eher konservative Sicht und Einschätzung der Situation vorlegen würde. Das ist auf keinen Fall zu bemängeln. Die Ökumene steht immer in der Gefahr, Einheit zu verkündigen, wo in Wahrheit noch keine besteht. Das für den evangelischen Rezensenten tiefere Problem dieses Buches liegt darin, dass die konservative Sicht der Ökumene sich in der Weise kundtut, dass die katholische Wahrheit als den theologischen Einsichten der anderen Kirchen überlegen angesehen und bisweilen sogar als deren Problemlösung empfohlen wird.

Bei Kardinal Kochs Betrachtung der andauernden Spaltung der Westkirche ist unverkennbar, dass der Autor mit seiner 1988 veröffentlichten Dissertation über die Theologie Wolfhart Pannenbergs sich ein gewisses Rüstzeug für das Verständnis evangelischer Theologie zugelegt hat. Pannenberg vertrat eine gewichtige, aber auch sehr eigene und umstrittene Position innerhalb der evangelischen Theologie. Darüber hinaus scheint der Autor – angesichts seiner überreichen Aufgaben verständlich – wenig Zeit für weitere Lektüre evangelischer Theologie gefunden zu haben. Er ist der Meinung, dass „der existentielle Ernst, der beim Reformator Martin Luther hinter der Frage nach der Rechtfertigung stand, weithin keinen Anhalt mehr in der alltäglichen Erfahrung der heutigen Christen hat“ (196). Es trifft zu, dass die Botschaft von der Rechtfertigung keine alltägliche Botschaft unter anderen ist – das war sie auch nicht für Luther. In der evangelischen Theologie ist man allerdings davon überzeugt, dass der von Luther gelebte und angemahnte existentielle Ernst seiner biblisch begründeten Rechtfertigungslehre höchst aktuell für unsere moderne Zeit bleibt, die an gegenseitigen Verurteilungen und Rechtfertigungsbemühungen wahrlich nicht arm ist. Auch Luthers radikales Bewusstsein der Sünde, seine erschütternde Gotteserfahrung oder der existentielle Schrei nach Gnade, die als Erfahrungen und Themen sich für Kardinal Koch in ihrer bedrängenden Tiefe für uns heute erübrigt haben (198), sind weiterhin Marksteine evangelischen Glaubens. Die biblischen Worte dazu, man denke z.B. an Jesu unerträgliche Verschärfung der Sünde (Mt 5,22), an Petri Sündenbekenntnis (Lk 5,8) oder den Schrei des Psalmbeters nach Gottes Gnade, mögen dem Zeitgeist überspannt und überholt erscheinen, aber haben im Horizont der evangelischen Botschaft nichts an Relevanz für jeden Menschen verloren.

Aus den vielen irreführenden und leichtfertigen Behauptungen Kardinal Kochs greife ich nur noch das Missverständnis des Lutherischen „simul iustus et peccator“ (zugleich Gerechter und Sünder) heraus. Der Autor meint, dass in der Konsequenz dieser lutherischen Formel Gott nicht die Kraft hätte, Menschen in ihrer Tiefe zu heilen (206). Das ist ganz abwegig. Evangelische Christen treten zeit ihres Lebens immer wieder als Sünder vor Gott und empfangen neu Gottes Zuspruch seiner Gerechtigkeit. So wissen sie sich zugleich als Gerechte. Aus Freude darüber fließen aus ihrem Glauben gute Werke und finden konkrete Fortschritte in der Heiligung ihres Lebens statt. Die lutherische Formel beschreibt nichts anderes als die alltägliche Aktualität der fünften Vaterunser-Bitte und der auf ihr liegenden Verheißung.

Nicht nur die evangelische Seite dürfte von diesem Buch unangenehm berührt sein, auch gegenüber den orthodoxen Christen wird unmissverständlich ausgeteilt. Die orthodoxen Kirchen könnten unter bestimmten Umständen den Papst durchaus als primus inter pares akzeptieren, aber nicht seine Rechtsstellung über die Bischöfe der jeweiligen Kirchen. Kardinal Koch identifiziert nun als „ekklesiologisches Kernproblem“ (182) der orthodoxen Kirchen die ihnen innewohnende Tendenz zum Nationalistischen. Die katholische Kirche habe demgegenüber vor allem das Problem, dass sie noch glaubwürdiger den Primat des Papstes kundtun muss. Ist damit nicht offensichtlich, dass es für die orthodoxen Kirchen mit ihren ekklesiologischen Problemen allein die katholische Lösung geben kann, wie der Verfasser im Weiteren nahelegt?

Mit diesen Bewertungen und Ansichten wird die Einheit der Christen nicht gefördert werden können. Dazu bedarf es einer allseitigen Ausrichtung auf Christus, unseren gemeinsamen Herrn, wie auch der Kardinal Koch betont. Doch diese Ausrichtung, wenn sie ernsthaft erfolgt, wird zwangsläufig mit Selbstbescheidung und Demut im jeweiligen kirchlichen Wahrheitsbewusstsein einhergehen müssen. Nur so können die Kirchen der Einheit in Christus näher kommen, die das Ziel der Ökumene ist.

Rückblicke – Einblicke – Ausblicke
Regensburg: Verlag Friedrich Pustet. 2021
299 Seiten
29,95 €
ISBN 978-3-7917-3244-2

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