Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Kurt Remele: Die Würde des Tieres ist unantastbar

Ein merkwürdiges Buch. Wer es so ernst nimmt, wie es geschrieben ist, hat sein letztes Schnitzel gegessen. Der Autor legt eine – vornehmlich christliche – chronique scandaleuse menschlichen Umgangs mit Tieren vor. Das gemeinsame Band der Lebendigkeit mit den Tieren lässt nicht zu, dass Tiere anders behandelt werden, als man selbst behandelt werden möchte. Selbst die Zoohaltung von Tieren ist nicht erlaubt, weil Zoohaltung per se nicht artgerecht ist; Nutztierhaltung schon gar nicht und sie muss langfristig überwunden werden. Vegetarische bzw. vegane Ernährung wird nicht angeraten, sondern soll zur Pflicht erhoben werden. Jegliche Anthropozentrik ist zu überwinden und alles Lebendige ist einzufügen in eine terrestrische Balance fühlender Wesen; der Mensch als Verantwortlicher hat ein ökologisches Gleichgewicht mit Einbezug der Pflanzen herzustellen. Empfohlen werden postanthropozentrische Ethikmodelle (sentientistische, patho- und ökozentrische). Hinduismus, Buddhismus und insbesondere der Jainismus werden als vorbildlich im Umgang mit Tieren dargestellt. Das Kastenwesen im Hinduismus bleibt ausgeblendet. Tierische Schädlinge indes sind wie menschliche Aggressoren zu behandeln; es darf gegen sie vorgegangen werden. Unheil gibt es offensichtlich nicht nur von Menschenhand. Der Voluntarismus des Autors erweckt allerdings den Eindruck, als könne alles Unheil, das die Tierwelt betrifft, vom Menschen beseitigt werden.

Der Mensch wird zum hominiden „Problembär“ für die Tierwelt und zur „Hautkrankheit der Erde“, wie Friedrich Nietzsche schon im 19. Jahrhundert feststellte. Man darf gespannt sein, wie bei zunehmendem „Befall der Erde mit Hominiden“ im 21. Jahrhundert ein ethisches Kriterium formuliert wird – mit oder ohne Vorzugsregel für Mitglieder der Problemspezies.

Obwohl der Verfasser eine christliche Tierethik schreiben will, verzichtet er nicht ohne Polemik auf ein wesentliches Merkmal von Christlichkeit, nämlich die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, um ethische Vorzugsregeln schon im Prinzip zu enthominisieren. Vermutlich nennt er deshalb seine christliche Tierethik neu. Der Verzicht auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen bei Beibehaltung seiner Verantwortlichkeit führt m. E. zu absurden Überlegungen bei der Anwendung von Vorzugsregeln: Der Verfasser referiert ernsthaft Überlegungen, es sei angebracht, die beim Einsatz von Mähdreschern umgekommenen Feldmäuse, Maulwürfe und Rehe aufzurechnen mit der Anzahl von geschlachteten Weiderindern, die auf Wiesen grasen. Die Entscheidung fällt zulasten der Feldmäuse etc., weil auf einem Hektar Land 1.000 kg Protein durch Soja- und Maisanbau produziert werden können; um die gleiche Menge Protein durch Weiderinder zu erzeugen, wären 10 Hektar Weideland notwendig. Ernsthaft wird der Vorschlag registriert, Rehkitze mit „Hilfe von Menschenketten, Hunden und Infrarotdetektoren und Drohnen aufzuspüren, um tierschonende Befahrmuster [...] mit Mähmaschinen“ (182) zu garantieren. Summa summarum: Fruchtanbau vor Weidewirtschaft.

Schließlich wird dann doch – bei einem „vieldiskutierten“(!) Dilemma – dem Menschen vor einem Hund der Vorzug gegeben: Vier Menschen und ein Hund sind auf einem Floß, alle zusammen sind nicht zu retten; es wird der Hund ins Wasser geworfen. Wenige Seiten weiter wird in einem brennenden Haus dem eigenen(!) Kind der Vorzug vor einem Hund gegeben, was offenbar nicht selbstverständlich ist. Was aber, wenn der Rotzbengel von nebenan und der eigene Hund zu retten sind? Empathie über Artgrenzen hinweg scheint Programm zu sein; die Artzugehörigkeit bestimmt offenbar nicht die Vorzugsregel. Auch ökologisch-utilitaristische Überlegungen sind speziesübergreifend konzipiert. Selbst die Verkotung von Parks durch Hunde (Dürfen sie überhaupt gehalten werden?) ist weniger ökologisch schädlich als ein sich vegan ernährender Mensch, der einiges an Feldmäusen, Hamstern und Rehkitzen auf dem Gewissen hat, vorausgesetzt sie wurden nicht von Menschenketten geschützt.

Die durchaus bedenkenswerten Überlegungen, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren – der Autor führt gute und respektable, ja sogar überzeugende Gründe an – verlieren ihre Überzeugungskraft durch die rigoristische Art, eine weitgehend speziesneutrale Ethik zu entwerfen. Der Autor hätte besser das Werk die „Die unbeweinte Kreatur“ von Josef Bernhart gründlicher gelesen, als Karlheinz Deschner, Peter Singer und Eugen Drewermann tierethisch den Vorzug vor Eberhard Schockenhoff und Martin Honecker zu geben; Bernhart weiß nämlich, dass „Tragik im Weltenlauf“ auch mit Tugendterror und Rigorismus nicht gänzlich zu verbannen ist.

 

Kevelaer: Butzon & Bercker Verlag. 2016

231 Seiten

19,95 €

ISBN 978-3-7666-4291-2

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