Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ludmila Peters: Religion als diskursive Formation

Unbestreitbar kennt der Dialog von Religion und Literatur vielfältige Facetten. Entgegen dem vermeintlich unaufhaltsamen Dahinschmelzen des Religiösen durch Säkularisierungsprozesse ist ein weit verbreitetes und beständiges Interesse der Gegenwartsliteratur an religiösen Motiven, Fragestellungen und Konstellationen zu beobachten. Bemerkenswert ist dabei der Umstand, dass die Untersuchung religiöser Sujets vornehmlich und breit von einer literaturinteressierten Theologie betrieben wird, während sich die literaturwissenschaftliche Seite bislang eher verhalten an diesem Dialog beteiligte.

Ludmila Peters, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn, bearbeitet dieses Desiderat mit einer überaus anregenden Studie. „Religion als diskursive Formation. Zur Darstellung von Religion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ lautet der Titel ihrer umfangreichen Publikation, die sie selbst als exemplarische Querschnittsstudie charakterisiert – doch weit darüber hinaus als eine wahre Pionierleistung bezeichnet werden darf. Entscheidend für die innovative Ausrichtung der germanistischen Studie ist der Begriff von „Religion“, den Peters ihrer Untersuchung zu Grunde legt. Im Anschluss an Michel Foucault, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe versteht Peters das Phänomen Religion aus einer diskurstheoretischen Perspektive als Ordnungskategorie. Dieser gewählte Zugang zur Analyse von Religion in der Gegenwartsliteratur, der zugleich den theoretischen Rahmen der gesamten Studie bildet, erlaubt es ihr, spezifische Ausformungen, Schwerpunktsetzungen und ästhetische Verarbeitungsprozesse des weiten Themenfeldes „Religion“ kriteriengeleitet in literarischen Werken zu untersuchen. Den Entwicklungen der Globalisierung und sich kulturell verändernden Gesellschaften gerecht werdend, nimmt der Band sodann epische Texte in den Blick, die christlich, jüdisch und muslimisch konnotiert sind. Dabei untersucht Peters exemplarisch jeweils einen Text der Autoren Patrick Roth, Benjamin Stein und Navid Kermani. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit Patrick Roth, der in seinem Schaffen vielfach biblische Motive aus den Apokryphen aufnimmt und diese in einer unhintergehbaren Sprachsensibilität weiterzuerzählen weiß, steht der 2012 erschienene Roman „Sunrise. Das Buch Joseph“. Den vielfach gelobten Roman „Die Leinwand“ (2010) des jüdischen Autors Benjamin Stein untersucht Peters im Hinblick auf ein (orthodoxes) jüdisches Leben in seinen verschiedenen und individuellen Ausprägungen. In Navid Kermanis Roman „Große Liebe“ (2014), der einnehmend eine Jugendliebe vor dem Hintergrund islamischer Mystik beschreibt, gilt das Forschungsinteresse von Peters der Verhältnisbestimmung zwischen westlicher Kultur und muslimischer Religion im Alltag einer Kleinstadt. Auf die ausführlichen und detailreichen Einzelanalysen der Romane folgt sodann eine Einordnung in das weitere Oeuvre der Autoren. Ein abschließendes Kapitel bestimmt auf der Grundlage der erarbeiteten Forschungsergebnisse Literatur im diskursiven Feld von Religion, Säkularisierung und Moderne.

Ludmila Peters hat mit ihrem Band „Religion als diskursive Formation“ eine theoretisch innovative, gründlich recherchierte und gleichermaßen von literarischem Engagement wie wissenschaftlichem Ethos getragene Untersuchung vorgelegt, die Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu einem faszinierenden Perspektivwechsel im Zueinander von Religion und Literatur ermöglicht. Wer sich wissenschaftlich verantwortet an dem Dialog von Religion und Literatur auf der Höhe der Zeit beteiligen will, kommt an diesem bereichernden Band nicht vorbei.

Zur Darstellung von Religion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
Bielefeld: transcript Verlag. 2021
411 Seiten
45,00 €
ISBN 978-3-8376-4712-9

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