Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Marcus Damm: „Gar nichts muss ich!“ Mit narzisstischen Schülern kompetent umgehen

Marcus Damm verspricht im Titel, dass man aus seinem Buch lernen kann „mit narzisstischen Schülern kompetent“ umzugehen. Doch das erste Kapitel seines Buches beschreibt alle Persönlichkeitsstörungen, wobei sich der Autor auf bekannte Werke von Lelord und Oldham-Morris beruft. In einem zweiten Kapitel referiert er aus der Literatur fünf grundlegende Strategien, Schwierigkeiten zu begegnen, die sich im Umgang mit Lernenden zeigen. Erst im dritten Kapitel entwickelt Damm eine „Psychologie der narzisstischen Schülerpersönlichkeit“, und es ist auch nur dieses dritte Kapitel, in dem es vorwiegend um „Narzissmus“ geht. Die weiteren Kapitel geben Anleitungen zum Beziehungsaufbau im Klassenraum, zur Problemklärung, zur Pflege erarbeiteter Lösungen und zur Selbsterkenntnis der Lehrperson.

In den Text an vielen Stellen eingestreut und typografisch hervorgehoben sind insgesamt 19 „Beispiele“, die in wenigen Zeilen jeweils ein exemplarisches Schülerschicksal schildern, und 43 „Tipps“, die Ratschläge an die Lehrpersonen auf den Punkt bringen sollen. Dadurch betont das Buch den Eindruck, aus der Praxis entstanden und für die Praxis geschrieben zu sein.

Die Anleitungen des Buches, denen die „Tipps“ und die abschließenden Kapitel gewidmet sind, laufen darauf hinaus, den Problemschüler zu konfrontieren, seine Besonderheiten aufzudecken und „Kompromisse für die Zukunft mit Win-Win-Charakter“ zu erproben. Konkrete Vorschläge wie z.B. die „schulbiografisch basierte Videoarbeit“ werden als eine „sehr intime Praktik“ beschrieben, bei der Damm resümiert: „Eine Erfolgsgarantie gibt es allerdings nicht.“

Beiläufig erfahren wir, dass der Verfasser die Schemapädagogik empfiehlt, die er selbst als für die Schule angepasste Version der Schematherapie nach Jeffrey Young entwickelt hat. Doch die Verhaltensschemata Youngs passen nicht zu den Persönlichkeitsmerkmalen, die im Buch beschrieben werden und die Grundlage der weiteren Diagnosen und Verhaltensvorschläge sind, und „Narzissmus“ kommt in keiner der zitierten Systematiken vor.

Bei seiner Kennzeichnung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung orientiert sich Damm an der Internationalen Kategorisierung der Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation in ihrer 10. Revision (ICD 10), doch nur im Manual der amerikanischen Psychiatrischen Assoziation werden unter anderem das Gefühl eigener Grandiosität, das Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung, Empathiemangel und Neid als diagnostische Merkmale der narzisstischen Störung angegeben. Die im Buch immer noch transportierte Annahme, Narzissmus sei eine „Abwehrreaktion wegen frustriertem Selbstwertgefühl“, wird von der Psychiatrischen Assoziation nicht mehr aufgeführt.

Die Handlungsanleitungen im Buch werden nicht mit Hilfe theoretischer Erörterungen begründet, sondern mit der „Erfahrung“ des Autors. Von unkritischer Umsetzung kann nur abgeraten werden. Denn entscheidende Fragen werden erst gar nicht gestellt: Wie erkenne ich, wenn ich als Lehrer für bestimmte Problemsituationen keine Lösung anbieten kann und Unterstützung bei anderen Zuständigen suchen sollte? Wie schütze ich in einer Epoche sozialer Netzwerke Schüler davor, zu viel „Intimes“ über sich selbst preiszugeben?

Und der „Narzissmus“? Im ICD 11, der zurzeit erarbeitet wird, firmiert der „Narzissmus“ nicht mehr als eine diagnostizierbare Krankheit, sondern als eine „unspezifische Restkategorie“. Möglicherweise kommt man weiter, wenn man dem Begriff mit Argumenten der Ethik zu Leibe rückt. Wer, wie Marcus Damm, „das philosophische Fass erst gar nicht aufmachen will“, hätte dann das Thema verfehlt.

Mit einem Geleitwort von Wolfgang Schmidbauer
München: Reinhardt Verlag. 2019
167 Seiten
19,90 €
ISBN 978-3-497-02839-9

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