Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martin W. Ramb / Holger Zaborowski (Hg.): Arbeit 5.0 oder Warum ohne Muße alles nichts ist

Der Titel „Arbeit 5.0“ bezieht sich auf diejenige Gestalt der Arbeit, die nach dem kommen wird, was im politischen Jargon „Arbeit 4.0“ heißt und uns gegenwärtig umgibt: der vierten – nämlich digitalen – Revolution unserer Arbeitsverhältnisse. Der Untertitel „Warum ohne Muße alles nichts ist“ erweckt dabei den Eindruck, die Möglichkeit der Muße sei bedroht. Inwieweit sie das ist, machen auf unterschiedliche Weise die 26 Beiträge deutlich, die im Einzelnen angemessen zu würdigen hier nicht möglich ist.

So zeigt ein Teil der hier versammelten Beiträge, dass die Digitalisierung der Arbeit einen enormen Zuwachs an Freizeit bedeuten kann. Und dieser zeitliche Zugewinn kann so weit reichen, dass Menschen ohne entsprechende Qualifikation immer weniger die Chance haben, überhaupt eine Arbeit zu finden, und in einer ganz ungewollten Weise sehr viel Zeit für sich haben. Allerdings verdient eine solcherart gewonnene Freizeit nicht den Namen Muße, sondern ist einfach entwürdigend. Dazu kommt der schlichte erkenntnistheoretische Sachverhalt, dass die Gehalte unserer Erfahrung erst in der Kontrastierung durch ihr Gegenteil ihren spezifischen Erlebniswert gewinnen. Eine Freizeit, die zum Normalzustand und in diesem Sinne selbstverständlich geworden ist, verliert automatisch ihre Erlebnisqualität. In diesem Sinne gewinnt die Muße den ihr eigenen Stellenwert erst im Gegenüber zur Arbeit.

In diesem Zusammenhang betonen manche Beiträge, dass das griechische Verständnis von Muße elitäre Züge hat und sich auf dem Rücken der Sklaven entwickelt, welche die Arbeit verrichten. Erst der biblische Schöpfungstext hat der Arbeit und der Muße ihre jeweils eigene Würde verliehen. Denn er hat sie dadurch in ein angemessenes Verhältnis zueinander gerückt, dass Gott am siebten Tag das Ergebnis seines Wirkens vollendet, indem er es aus der Hand legt und aus dem solcherart gewonnenen Abstand „sehr gut“ findet.

So wird die Muße dem Leser vor allem als eine Form des Abstands zur Arbeit präsentiert, die nicht – wie etwa die Pause im Arbeitsprozess oder der Urlaub – zur Wiedergewinnung der Arbeitskraft dient. Ihre Eigenart gegenüber der Arbeit besteht vielmehr in ihrer Nichtfunktionalität. Gerade dadurch erweist sie sich aber auf mannigfache Weise als bedroht, etwa indem unser Freizeitverhalten durch eine entsprechende Industrie durchorganisiert wird oder indem wir durch digitale Medien bis in die letzten Winkel unserer privaten Existenz rund um die Uhr ansprechbar bleiben. Wo also einst in der Phase von „Arbeit 1.0“ die Freizeit die Rettung aus einem Arbeitsprozess bedeutete, in dem der Einzelne sich ansonsten verlor, gilt in der Phase von „Arbeit 4.0“ die Umkehrung eines berühmten Hölderlin-Wortes: Wo das Rettende naht, wächst auch die Gefahr. So plädieren einige Beiträge für ein Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit.

Dabei ist die Muße offensichtlich auch nicht ganz nutzlos. Aber sie bekommt ihren Nutzen nicht aus dem Arbeitsprozess zugewiesen, sondern entwickelt ihn auf geradezu anarchischem Wege: Wo Kant grundlegende Einsichten, die dann in sein Werk eingegangen sind, beim Spazierengehen gewonnen habe, sei dies bei Einstein im Halbschlaf geschehen.

Damit sind freilich nur einige Grundlinien des vorliegenden Sammelbandes angesprochen. Die Lektüre seiner 400 Seiten setzt im positiven Wortsinne diejenige Muße voraus, von der im Untertitel die Rede ist.

Göttingen: Wallstein Verlag. 2018
400 Seiten m. Abb.
22,00 €
ISBN 978-3-8353-3340-6

(Wir danken den „Stimmen der Zeit“ für den Wiederabdruck.)

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