Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Matthias Arnold / Philipp Thull (Hg.): Theologie und Spiritualität des Betens

Handbuch Gebet

Auf einer Konferenz von Novizen der Kartäuser, des strengsten Ordens überhaupt, in dem hauptsächlich geschwiegen und gebetet wird, sagten mehrere der versammelten Brüder: „Ich weiß nicht, was Gebet ist.“ Zugleich fanden sie berührende Antworten, beispielsweise: „Ich habe nur eine Sache zu sagen, zu IHM zu sagen: Du. Gebet ist Du.“ Das zeigt etwas für das Gebet sehr Wesentliches, nämlich dass man es nie im Letzten begreifen kann und sich diesem Begreifen doch immer wieder stammelnd annähert. Das gilt für das Gebet selbst, aber auch für unser Verstehen der eigenen Gebetserfahrung. 

Als eine solche Annäherung an das Wesen des Gebetes möchte ich das vorliegende Handbuch zur Theologie und Spiritualität des Betens verstehen. Es ist erfreulich, dass ein solches Buch in unserer Zeit erschienen ist, da einerseits ein Hunger nach Spiritualität beobachtet werden kann, andererseits aber sehr undifferenziert mit diesem Begriff umgegangen wird. Zur Illustration dieser Bemerkung genügt es, in einem durchschnittlichen Buchladen nachzusehen, was unter der Rubrik „Religion“ eingeordnet ist. Theologische Klarheit ist wichtig, um in der Fülle der Möglichkeiten und Angebote die Spreu vom Weizen zu unterscheiden. Dazu leistet das Handbuch einen wichtigen Beitrag. Zugleich repräsentiert es mit einer Vielzahl verschiedener Autoren und Beiträge die Pluriformität christlichen Betens und die verschiedenen Weisen, wie man sich seinem Verständnis nähern kann. 

Der Band setzt sich aus sechs Hauptteilen zusammen. Er beginnt mit dem Gebet in der Heiligen Schrift und der Theologie, woran sich weitere Teile über Gebetsformen, Praxis des Gebets, Gebet in der Ökumene und schließlich über multidimensionale Zugänge zum Gebet anschließen. Damit wird ein eindrucksvoller und sachgerechter Bogen von den geistigen Grundlagen des Gebets zu seinen konkreten Ausformungen und damit zusammenhängenden Themenkomplexen geschlagen. 

Nicht immer erschließt sich der Rezensentin allerdings die Zuordnung der einzelnen Artikel. Mir leuchtet beispielsweise nicht ein, warum der erste Beitrag über das Gebet in der Heiligen Schrift zu großen Teilen mit interreligiösen Themen befasst ist oder warum zu Beginn der Rubrik zum Gebet in der Theologie ein Artikel steht, der faktisch von dämonischen Gottesbildern und Körperübungen zur Überwindung derselben handelt. Auch scheint mir Gebet nicht erst dann praktisch zu sein, wenn man dabei tanzt, musiziert oder weint. Die Beiträge zum Rosenkranz und dem Gebet der liebenden Aufmerksamkeit behandeln beispielsweise ebenso eine Praxis des Gebets. Gebetsformen sind eben, angewandt, immer auch Gebetspraxis, weshalb die Trennung zwischen beiden Abschnitten etwas willkürlich erscheint. Das sind aber kleinere Kritikpunkte, die für eine zweite Auflage zu bedenken wären. Etwas gravierender finde ich, dass der Band keine klare Vorgabe bezüglich des wissenschaftlichen Anspruchs erkennen lässt. Die Bandbreite der Beiträge reicht hier von wissenschaftlich sehr fundierten Artikeln, die auch in einer Fachzeitschrift stehen könnten (z.B. Richter), bis hin zu Erfahrungsberichten, die doch etwas an theologischer Präzision vermissen lassen bzw. diese von vornherein gar nicht im Fokus haben (z.B. Müller). Hier würde ich von einem Handbuch im Herder Verlag eine zwar leicht verständliche und nicht mit Fußnoten überfrachtete, aber klar wissenschaftlich fundierte Publikation erwarten. Angesichts des unverzichtbaren und dem Thema eigenen Erfahrungsbezuges wäre auch eine Kombination von verschiedenen Ausrichtungen möglich, dies sollte dann aber gekennzeichnet sein, um Irritationen zu vermeiden.

Die genannten Kritikpunkte sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass den beiden Herausgebern mit all den vielen Autoren zusammen ein gutes und lesenswertes Grundlagenwerk gelungen ist, das es so bis jetzt nicht gab. Pionieren wird eben immer Lob und Kritik zuteil. Für die Schule bietet vermutlich gerade die Vielfalt des Bandes reiche Einsatzmöglichkeiten. 


Freiburg: Herder Verlag. 2016
416 Seiten m. s-w Abb.
39,99 €
ISBN 978-3-451-37570-5

 

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