Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Matthias Roser: Religionskritik und die Frage nach Gott

Das Thema Religionskritik hat einen festen Platz im Religionsunterricht der Sekundarstufe II. Im Kontext des Religionsunterrichts meint Religionskritik in erster Linie nicht die Kritik an der Kirche und ihrem Erscheinungsbild, sondern vielmehr die Kritik am vermeintlich widersprüchlichen christlichen Gottesverständnis – Stichwort: Theodizee – sowie die argumentativen Bestreitungen der Existenz Gottes, die mit den Namen Ludwig Feuerbach, dem Begründer der modernen Religionskritik, und den auf ihn aufbauenden Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud verbunden sind. Da in einbändigen (katholischen) Oberstufen-Unterrichtswerken wie „Vernünftig glauben“ oder „sensus Religion“ der Gotteskritik nur einen knappen Raum gewidmet ist, kann der vorliegende, im Format DIN A4 aufgelegte Band, der im Untertitel „Umfassende Materialien zu den Themen Gottesfrage, Atheismus und Agnostizismus“ verspricht, mit Interesse rechnen, das durch einen ersten Blick auf das ausführliche Inhaltsverzeichnis bestätigt wird. Mit fortschreitender Lektüre indes stellen sich mehr und mehr Fragen.

Wer sind die Adressaten, die von Matthias Roser im „Vorwort“ (4f) als „liebe Leserin, lieber Leser“ angesprochen werden – tatsächlich die Schüler der Oberstufe oder doch eher die Lehrkräfte? Der anschließende Abschnitt mit den „Allgemeine(n) Bemerkungen zur Didaktik und Methodik“ (6f), der eine Gliederung der zahlreichen Materialien (13-80) in drei Blöcke enthält, sowie der darauf aufbauende Abschnitt mit „Bemerkungen zum Erwartungshorizont“ (8f) richten sich an die Religionslehrkräfte. Ist eine Überschrift wie „Die Klimax des sowjetischen Kommunismus (Bolschewismus) als politische Religion – der Personenkult um Lenin und Stalin“ (64), wobei im Material der Name Lenin nirgends auftaucht, für Schüler überhaupt verständlich oder ein Hinweis für die Lehrkräfte? Die gleiche Frage stellt sich, wenn eine Darstellung der Philosophie Kants folgendermaßen eingeleitet wird: „Namhafte Theologen und Religionsphilosophen konstatieren, dass der neuzeitliche Atheismus bzw. die neuzeitliche Religionskritik ein Erbe des Christentums bzw. der christlichen Theologie im Gefolge der Philosophie Immanuel Kants sind.“ (37) Den „neuzeitlichen Atheismus“ als ein „Erbe“ der Philosophie Kants zu bezeichnen, ist schon aus fachwissenschaftlicher Perspektive eine zweifelhafte, nach Auffassung des Rezensenten geradezu falsche Behauptung; didaktisch ist sie problematisch, weil sie mit Blick auf den Lehr-Lern-Prozess ein mögliches Lernergebnis vorweg nimmt.

Gotteskritik ist kein Selbstzweck: Ein Religionsunterricht, der die Gottesvorstellungen und -bilder der Kritiker mit den biblischen und christlichen Gottesvorstellungen konfrontiert, ermöglicht es den Lernenden, das eigene Gottesverständnis zu vertiefen. Der Verfasser bringt keine biblischen Aussagen zu Gott ins Spiel, sondern sieht in Karl Rahners Rede vom „unbegreiflichen Geheimnis“ das christliche Gottesverständnis repräsentiert (6, 9, 40-45). Rahner als Referenz zu wählen, ist sicherlich keine schlechte Wahl, wirft aber die Frage auf, wie dessen Theologie mit den biblischen Gottesaussagen korrespondiert. Warum verzichtet ausgerechnet ein evangelischer Religionspädagoge auf Texte der biblischen Aufklärung wie etwa das Gottesbilderverbot oder die Geschichte von Goldenen Kalb, die ja in nuce die Projektionstheorie Feuerbachs enthält?

Die gravierendste didaktische Entscheidung, die nirgendwo im (so die hintere Umschlagseite) „ausführlichen methodisch-didaktischen Kommentar“ begründet wird, besteht darin, die Religionskritiker – bis auf Karl Marx – nicht mit Textauszügen aus ihren einschlägigen Schriften, sondern durch zusammenfassende Darstellungen zu präsentieren. Traut der Verfasser heutigen Oberstufenschülern nicht mehr zu, religionskritische Texte im Original zu verstehen? Wenn das der Fall sein sollte, muss es doch sehr verwundern, dass sich in einer Darstellung von Jan Assmann, der verständlich zu schreiben versteht, eine solche Formulierung findet: „Ebenso wie Walser, Marquard und übrigens auch J. Derrida und anderen Denkern sieht Assmann, dass mit dem Monotheismus ein Denken in Unterscheidungen, in gut und böse, richtig und falsch in die Welt gekommen ist…“ (73) Nicht nur an dieser Stelle ist eine fehlende Sorgfalt bei den ausgewählten Materialien zu beklagen.

Eine weitere nicht begründete pädagogische Entscheidung betrifft die Formulierung der Arbeitsaufträge, nämlich den konsequenten Verzicht auf Operatoren und die häufige Verwendung von W-Fragen. So lautet einer von fünf Arbeitsaufträgen zu einem langen Text von Rahner: „Wo setzt Rahners Verständigungszugang zum Christentum an: bei Gott oder bei Jesus, bei sich selbst oder bei der Kirche?“ (44) Wird von den Lernenden erwartet, mit „bei sich selbst“ zu antworten? Warum wird von ihnen keine Begründung verlangt? Ein anderes Material stellt vierzehn heterogene Zitate aus unterschiedlichen Werken Feuerbachs zusammen (48f); einer der beiden Arbeitsaufträge dazu heißt: „Rekonstruieren Sie aus den Zitaten so etwas wie ein philosophisches Gedankensystem!“ (49) Die Formulierung „so etwas wie“ verrät, dass der Verfasser der eigenen Aufgabenstellung misstraut.

Weitere Fragen stellen sich dem Rezensenten bezüglich der Textauswahl: Warum kommt die deutsche Giordano-Bruno-Stiftung mit über zwei Seiten zu Wort (52-54) – nicht aber Richard Dawkins als international bekannter Vertreter des „Neuen Atheismus“? Warum werden die „10 Gebote? 10 Angebote!“ der Stiftung, die naturalistisch argumentieren, mit „Eine aktuelle Rezeption der Religionskritik Ludwig Feuerbachs“ (52) überschrieben? Und warum fehlt in einem 2018 neu aufgelegten Materialheft ein Text des ebenso kenntnisreichen wie scharfsinnigen Kritikers Norbert Hoester?

Resümee: Es fehlt ein Buch, das die wichtigsten religionskritischen Positionen von der biblischen und griechischen Aufklärung bis zur Gegenwart zusammenstellt und didaktisch-methodisch für den Religions- und Philosophieunterricht erschließt. Matthias Rosers Zusammenstellung kann diese Lücke nicht schließen.

Abiturvorbereitung Religion: Umfassende Materialien zu den Themen Gottesfrage, Atheismus und Agnostizismus
Augsburg: Auer Verlag. 42018
80 Seiten m. s-w Abb.
21,90 €
ISBN 978-3-403-06726-9

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