Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Menzius: Dem Menschen gerecht

Der Sinologe Henrik Jäger stellt in diesem Buch den chinesischen Denker Menzius (372-289 v.Chr.), chinesisch Mengzi, vor, der ca. 100 Jahre nach Konfuzius geboren wurde und in dessen Tradition stand. Das Werk ist eine Neuauflage der 2010 erschienenen Erstausgabe und der 2. Band des Lesebuch-Projekts des Autors, in dem Person und Werk der Denker dar- und deren heutige Aktualität herausgestellt werden. Der Autor wendet sich an ein breites Publikum, denn es finden sich grundsätzliche Bemerkungen zur chinesischen Kultur neben Erklärungen chinesischer Schriftzeichen, Parallelstellen und klassischen Kommentaren zu den Textstellen, Verweisen auf die Einordnung und Rezeption derselben und Hintergrundinformationen aus Geschichte, Literatur und Sprachwissenschaft. Mit zahlreichen Bezügen zur heutigen Lebenswelt (z.B. Naturwissenschaft oder Literatur) untermauert er die Geltung Mengzis, jedoch geschieht dies manchmal sehr assoziativ und nicht tiefer ausgearbeitet. Dennoch wird durch die Breite sämtlicher für die Person und Zeit wichtiger Aspekte Mengzi lebendig.

Das Buch gliedert sich in einen umfangreichen Einführungsteil, der einige wichtige Begriffe veranschaulicht, Mengzi vorstellt und in seine und das spätere philosophische Umfeld in China und im Westen einordnet und einen Lesebuchteil, in dem wichtige Aussagen und Themenkomplexe (menschliche Natur, Herz, Würde, gute Regierung) vorgestellt werden. Auch wenn gerade im Einführungsteil manche Überschriften, orientiert am chinesischen Text und sicherlich deswegen so gewählt, den Inhalt des entsprechenden Kapitels nicht sofort deutlich machen, überzeugt die Gliederung.

Nach Einschätzung des Autors hat Mengzi „als erster Philosoph ... von der Würde des Menschen gesprochen, die sich aus deren ‚guter Natur‘ ergibt“ (103) und die Mächtigen aufgefordert, sich beim Regieren von dieser Natur leiten zu lassen, denn als ein der hierarchischen Gesellschaftsordnung verpflichteter Konfuzianer (218) wird und muss bei ihm die Gesellschaft von oben her verändert werden. Zu den bekanntesten Textstellen gehört der Ausspruch, dass die Natur des Menschen gut sei, wie das Wasser den Berg hinunterfließe. Dieser Vergleich wurde in der Folge sowohl von chinesischen Denkern zu widerlegen versucht als auch von westlichen Philosophen in Vergangenheit und Gegenwart, die v.a. das chinesische Denken jener Zeit aufgrund solcher Bilder, die auf einer fehlerhaften Anwendung der Kategorien beruhen, als denkerisch unzulänglich und naiv einstufen. Hier – und auch an vielen anderen Stellen – verteidigt Jäger Mengzi und setzt entgegen, dass dies kein logischer Beweis (132) sei, sondern eine Metapher, ein rhetorisches Mittel in dieser praktischen Ethik (13) mit dem Ziel, die Herzen der Menschen zu erreichen.

Die Ausgabe ist schön gestaltet, mit der Kalligraphie einer japanischen Künstlerin versehen; Freude bereiten die chinesischen Schriftzeichen mit Umschrift, die für den Sprachkundigen die Übersetzungen nachvollziehbar machen und für den des Chinesischen Unkundigen eine ästhetische Bereicherung darstellen. Zwar irritiert die konsequente Verwendung des „ß“ nach alter Rechtschreibung und wäre ein Personen- und Schlagwortindex begrüßenswert, doch erfreut den Leser eine sorgfältige Ausstattung mit einem Hinweis zur Aussprache der chinesischen Zeichen, einem Glossar zu den wichtigsten Begriffen, Personen und Werken und einem weiterführenden Literaturverzeichnis. 

Für die Unterrichtsgestaltung wäre das Lesebuch etwa für eine Diskussion über die menschliche Natur (und die Würde) interessant, mit der Fokussierung auf einen Denker allerdings nicht ausreichend und eine zusätzliche analysierende, vertiefende und gegenüberstellende Lektüre erforderlich z.B. über die gegensätzlichen Aussagen zur menschlichen Natur und die Rezeption dieses Gedankens durch andere nichtkonfuzianische Philosophen (des Utilitarismus, Hedonismus und v.a. Legalismus, später der Dialektik und Logik), wie sie etwa der im Text genannte Sinologe Heiner Roetz vornimmt. Für den interessierten Leser ist das Buch auf jeden Fall empfehlenswert und dessen Lektüre ein Gewinn.

Ein Lesebuch
Aus dem Klassischen Chinesisch übertragen und herausgegeben von Henrik Jäger
Berlin: Matthes & Seitz Verlag. 2018
289 Seiten
28,00€
ISBN 978-3-95757-513-5

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