Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Felten: Die Inklusionsfalle

Wie eine gut gemeinte Idee unser Bildungssystem ruiniert

Dieses Buch setzt sich kritisch mit dem Thema Inklusion in unseren deutschen Bildungssystemen auseinander. Es richtet sich in einer verständlichen Sprache nicht nur an Bildungswissenschaftler und Lehrkräfte, sondern auch an Eltern. Bereits im Cover nimmt es mittels Wortspiel den Widerspruch zwischen Inklusion und Illusion auf. Michael Felten kennt als Lehrer, Ausbilder, und Schulentwicklungsberater die verschiedenen Perspektiven der Bildung.

Anhand praktischer Beispiele wird verdeutlicht, dass an vielen Stellen eine Kluft zwischen den Sollensforderungen der Befürworter einerseits und den Lehrkräften in der Praxis andererseits existiert. Dem freien Elternwillen kann oft nicht entsprochen werden, da viele Regelschulen unterfinanziert sind, das qualifizierte Personal häufig fehlt und die Inklusionskonzepte in der Praxis an ihre Grenzen stoßen. Dabei richtet Felten den Blick über den Tellerrand – berücksichtigt also die Inklusionspolitik anderer Länder – und zeigt auf, dass überall dort, wo die finanziellen, fachlichen und räumlichen Bedingungen nicht gegeben sind, Inklusion nur auf dem Papier existiert bzw. seinem Anspruch nicht gerecht wird. Das Buch gliedert sich in drei Teile; es beginnt mit einem Prolog und endet mit einem Epilog sowie Anhang.

Im Prolog nimmt Felten in einer direkten, manchmal polarisierenden Weise zu dem sehr komplexen und heterogen diskutierten Thema Inklusion Stellung. 

Das hehre Ziel, durch Inklusion eine Aussonderung und Stigmatisierung von Schülern mit Förderbedarfen zu vermeiden, wird verfehlt, wenn die schwächsten Schüler nicht mehr unter sich, also im Schutz einer Gruppe von ähnlich belasteten Kindern, lernen können und dabei von speziell ausgebildeten Fachleuten begleitet werden. Stattdessen werden sie in Regelschulen vereinzelt und nur noch punktuell von Sonderpädagogen unterstützt. „Radikale oder unterfinanzierte Inklusion gefährdet auch die Entfaltung der anderen Regelkinder – und sie ruiniert letztlich das gesamte Bildungssystem.“ (11) Eine Ausrichtung auf forschungsbasiertes Handeln im Umgang mit der schulischen Integration ist überfällig (vgl. 113).

Im ersten Teil (Lage) führt der Autor in einer kritischen Weise an Beispielen aus verschiedenen Perspektiven (Schulen, Lehrerausbildung, Eltern, Verbände, Presse) Schwierigkeiten des Gemeinsamen Lernens auf und mündet dabei in der Aussage: „In ihm [dem sog. Inklusionsschüler] hat die Inklusion eine Hoffnung geweckt, die sich trotz aller Bemühungen nicht einlösen wird.“ (42) „Schulische Inklusion scheint vielerorts den Möglichkeiten und Bedürfnissen aller Beteiligten krass zuwiderzulaufen.“ (57)

Im zweiten Teil (Blick hinter die Kulissen) führt der Autor anhand von wissenschaftlichen Befunden aus, wie es politisch zur Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (2016) gekommen ist und welche Missverständnisse und Fehldeutungen anderer Länder zu einer dramatischen Verschlechterung in der Unterrichtsqualität geführt haben.

Im dritten Teil (Perspektiven) wird keine Schule für alle, sondern für jedes Kind die beste gefordert. Ziel solle es sein, das Schulsystem durch einen dynamischen Verbund aller Schulformen zu optimieren, bei dem die personellen Ressourcen und die Professionen flexibler als bisher genutzt werden. Die Energien sollten stärker in die Unterrichtsqualität statt in einen Strukturkampf gesteckt werden (122ff). Lehrkräfte müssten außerdem bei ihren herausfordernden Aufgaben stärker unterstützt werden und hierfür Fort- und Weiterbildungsangebote erhalten. Er gibt Ratschläge, wie beispielsweise mit Qualifizierungsprogrammen Lösungsansätze aus fachlicher und schulpolitischer Sicht gefunden werden können.

Der Autor schließt mit einem Appell an die Verantwortlichen der Bildungspolitik, so viel hochqualitative Integration wie sinnvoll zu ermöglichen und gleichzeitig so viel durchlässige Separation wie nötig zuzulassen. Jedes Kind sollte an dem für ihn sinnvollsten Ort lernen können – und dies kann laut Meinung des Autors durchaus zeitweise eine Spezialschule oder Separatklasse sein.

Mit dem kontroversen Thema Inklusion setzt sich Felten in einer sachlich fairen und praxisnahen Weise auseinander. Neben einer schonungslosen Bestandsaufnahme bietet er Lösungsansätze an – und leistet dadurch einen wichtigen Beitrag für eine sachbezogene Diskussion von Lehrkräften und Eltern. Zur Vervollständigung des Bildes hätte ich mir allerdings eine stärkere Berücksichtigung gelungener Inklusion gewünscht, die es in der Praxis zweifelsohne ebenfalls gibt.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2017
176 Seiten
17,99 €
ISBN 978-3-579-08672-9

 

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