Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Triegel: Cur Deus

Ein bärtiger Mann mittleren Alters blickt den Betrachter eindringlich an. Die blauen Augen und der Mund sind geöffnet, die rechte Hand unters Kinn geführt, die Haare von einer Haube bedeckt. Das Gesicht und die angehobene Hand sind voller Blut. Dieser verwundete Mann – ein Mensch wie du und ich – ist niemand anderes als der Künstler selbst, Michael Triegel. Und er fragt: „Cur Deus“? Hofft er mit der zur Schale geformten Hand eine Antwort aufzufangen – vom unsichtbaren Gott oder den ihm zugewandten Betrachtern?

Dieses Selbstporträt befindet sich auf dem Cover des Katalogs, der die Ausstellung „Cur Deus – Warum Gott“ begleitete. So ungewöhnlich das Thema der Ausstellung war, so ungewöhnlich ist der Katalog geraten. Für die vom Künstler kuratierte Schau in der Kunsthalle Rostock, die zum Jahreswechsel 2020/21 und unterbrochen von gleich zwei Lockdowns stattfand, hat Triegel über 60 Gemälde, Zeichnungen und Radierungen ausgewählt, die seine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben zum Gegenstand haben. (Einen guten Eindruck vermittelt der zehnminütige Beitrag für „sonntags – TV fürs Leben“ vom 8. Februar 2021, der bis 2026 in der ZDF-Mediathek unter https://www.zdf.de/gesellschaft/sonntags/cur-deus-warum-gott-100.html#xtor=CS5-95 abgerufen werden kann.) Anders als üblich verzichtet der Ausstellungskatalog auf kunstgeschichtliche Beiträge und lässt ganz die Bildwerke sprechen, die nach den Überschriften „Alles Leben ist wesentlich Leiden“, „Und das Wort ist Fleisch geworden“, „O Haupt voll Blut und Wunden“, „Auferstehung. Ein Gedächtnisphänomen“, „Gottes Sehnsucht ist der Mensch“ sowie „Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren“ geordnet sind. Etlichen Werken hat der Bildkünstler prägnante Zitate aus Bibel, Philosophie und Literatur beigesellt, was überraschend neue Perspektiven ins Spiel bringt. So ist die Coverabbildung eine Reproduktion des Gemäldes „Tenebrae“ (Finsternis, Dunkel, Todesnacht) von 2018, dem Triegel ein Gedicht Paul Celans mit dem gleichen Titel gegenübergestellt hat (46-47) und das als ein dichterisches Gebet ein anderes Licht auf das Bild wirft.

2010 wurde der 1968 in Erfurt geborene Michael Triegel durch sein Porträt von Papst Benedikt XVI. schlagartig einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 2013 ließ er sich nach langem Ringen taufen. Triegel, der keineswegs ein „Kirchenkünstler“ ist und sein will, hat bislang fünf Altäre und die Kirchenfenster in Köthen geschaffen. Um Kunst für heute zu machen, setzt er nicht auf die permanente Innovation oder den Tabubruch, sondern greift auf die „Kunstgeschichte als Reflexionsmedium“ (Triegel) zurück; in seiner Kunst sind die Epochen Renaissance und Manierismus sowie viele Motive christlicher und mythologischer Ikonografie von besonderer Bedeutung. Augenfällig ist seine außergewöhnliche Beherrschung des künstlerischen Handwerks, was ihm die Freiheit verschafft, sich ganz auf den Bildgegenstand konzentrieren zu können.

„Sinnliches Erleben“, so der Künstler in einem 2020 geführten Gespräch, „ist die Quelle meines Tuns.“ Dabei nimmt er wie die alten Meister die ganze Palette menschlichen Erlebens – von Leid und Schmerz bis zu Freude und Schönheit – ins Visier und möchte im Sichtbaren das Unsichtbare aufleuchten lassen. Wer im Abschnitt „Gottes Sehnsucht ist der Mensch“ (79-97) auf die vom Leben gezeichneten Gesichter von Frauen und Männern blickt, wird sich unschwer eine ungefähre Vorstellung ihrer Persönlichkeit machen. Doch wie verhält es sich mit der Darstellung Gottes, den bekanntlich niemand je gesehen hat (Joh 1,16a)?

Um den transzendenten Schöpfer in seiner Schöpfung zu spiegeln, setzt Triegel eine Reihe verschiedener Alteritätsmarkierungen (Eckhard Nordhofen) ein wie etwa Verdeckungen, Verhüllungen, leere Gewänder, Holzpuppen etc. Das lässt sich gut an dem Triegel wichtigen, im Jahr seiner Taufe entstandenen Bild „Deus absconditus“ (2013) zeigen (64f). Am Anfang stand die selbstgestellte künstlerische Herausforderung, das „Schweißtuch der Heiligen Veronika“ (um 1660) von Francisco de Zurbarán, das an drei Schnüren befestigt in einem unbestimmten Raum aufgehängt ist, aufzugreifen. Das Zentrum des 160 x 260 cm großen Gemäldes „Deus absconditus“ bildet genau dieses Motiv. Doch hinter dem Tuch mit seinen vielen kunstvollen Falten ragen die Hände und Füße eines an einem Kreuz befestigten Menschen hervor – und machen ihn nicht trotz, sondern gerade wegen der Verhüllung gegenwärtig. Über den Füßen des unsichtbar Sichtbaren ist die altbekannte trinitarische Lehrzeichnung „Pater non est Filius – Pater non est Spiritus – Filius non est Spiritus sowie Pater est Deus – Filius est Deus – Spiritus est Deus“ auf einem entfalteten Blatt Papier zu sehen. Es formuliert ein abstraktes, leblos gewordenes Depositum fidei, einen unangemessenen Versuch, sich mit dogmatischen Formeln dem Geheimnis Gottes zu nähern. – Ja, Triegels Bild ist alles andere als ein frommes Idyll: Der von einem Tuch verdeckte und gekreuzigte Deus absconditus wird von Totem flankiert: einer in einem gekippten Kasten abgestellten segnenden Christusskulptur, einer fein gewandeten weiblichen Heiligengestalt ohne Leib vor einer schwebenden Schreibmaschine oder gehäuteten Tierköpfen. Und was hat es mit den Fäden auf sich, die von außen in das Bild führen: Wer zieht an ihnen? Begleitet hat der Maler das Bild mit Zitaten von Blaise Pascal und aus dem Buch Jesaja, die auf das menschliche Nichtwissen von Gott abheben.

Mit dem nur 22 x 30 cm großen Gemälde „Memorial für Blaise Pascal“ (2018) möchte der Rezensent auf eines seiner Lieblingsbilder aufmerksam machen. An eine gemusterte Holzwand ist mit einer Heftzwecke ein Blatt mit mehreren Knicken befestigt, auf dem das mit Hand geschriebene Wort „feu“ steht und auf der linken Seite lichterloh brennt (55). Triegel hat einen performativen Widerspruch malerisch in Szene gesetzt: Feuer schreitet in der Zeit fort und verbrennt Papier zu Asche; hier aber steht die Zeit still und betont das auf dem Papier notierte „feu“ – was an den brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch, dem Mose begegnet (Ex 3,3), denken lässt. Neben dem Bild stehen einige Sätze aus Pascals berühmten Memorial.

„Cur Deus“: Mit dem Titel des Buches (und der Ausstellung) bezieht sich Triegel auf ein Grundproblem des christlichen Gottesverständnisses: Wie lässt sich die Vorstellung eines allmächtigen und gütigen Gottes mit dem Übermaß an Leid in der Schöpfung vereinbaren? In etlichen seiner Bilder scheint die Theodizee-Frage durch. Michael Triegel stellt sie als ein suchender und auf den Christus medicus hoffender Künstler, nicht als ein spitzfindig debattierender Theologe. Dass seine sinnenhaften Werke viel zu sehen und darüber hinaus religiös wie theologisch zu denken geben, lässt sich mit diesem wunderbaren Buch nachvollziehen.

Leipzig: Edition Galerie Schwind 2020
120 Seiten m. farb. Abbildungen
19,90 €
ISBN 978-3-932830-77-8

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