Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michaela Kopp-Marx, Martin W. Ramb und Holger Zaborowski (Hg.): Die Christus-Trilogie zwischen Bibel, Traum und religiöser Erfahrung

Ein Geheimtipp! So wurde 1991 der erste Band der Christustrilogie von Patrick Roth, die Novelle „Riverside“, unter christlichen Lesern und Leserinnen weitergegeben. Mittlerweile, 30 Jahre später, gibt es eine breite Roth-Rezeption im deutschen Sprachraum und speziell in der Theologinnenwelt – nicht zuletzt dank der vielfältigen Initiativen von Martin Ramb, Holger Zaborowski und dem Eulenfisch. Die Anziehungskraft Roths liegt aber auch darin begründet, dass der gebürtige Karlsruher, der lange Jahre in Los Angeles gelebt hat und nun wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, ein ungemein sympathischer Mensch ist, der sich mit Offenheit und Neugier auf Tagungen und Lesungen dem Gespräch aussetzt, wie man aufgrund des lebendigen Fotos auf dem Cover des vorliegenden Buches ahnen kann. Wenn man Patrick Roth begegnet, steht ein Mensch vor einem, der einen ganz eigenen inneren Weg mit großer Ernsthaftigkeit und Kompromisslosigkeit geht; dieser kann nicht nachgeahmt werden, aber die eigene spirituelle Suche inspirieren und ermutigen. Das Christentum von Patrick Roth ist kein konfessionelles; eher gehört er zu denen, die etwas suchen und beschreiben, was postsäkulare spirituelle Wanderinnen mit Transformation, Erwachen, Wiedergeburt, Initiation bezeichnen: eine lebensverändernde Erfahrung, einen Einbruch der großen Transzendenz, der oft mit intensiven Krisen verbunden und insofern geschenkt wie erlitten ist. Patrick Roth nennt dieses Geschehen biblisch und christlich „Auferstehung“. Diesem Thema und insbesondere der Christustrilogie war eine Tagung gewidmet, die zum 65. Geburtstag des Autors im Juli 2018 in Vallendar stattfand und die im vorliegenden Band dokumentiert und um einige Beiträge erweitert wird.

Den Auftakt des Bandes macht die intensivste Roth-Kennerin, Michaela Kopp-Marx. Sie analysiert die drei Teile der Christustrilogie als „hochindividualisierte Heilsdramen, die die religiöse Problematik der Gegenwart sichtbar werden lassen und zugleich einen Weg aus dem metaphysischen Dilemma der Moderne eröffnen“ (57). Bernhard Stricker verschränkt seine Roth-Interpretation in überraschender Weise mit einer Legende des Baal Schem Tov und bringt die jüdisch-haggadische Erzählweise Roths ins Gespräch mit Johann Peter Hebel und Walter Benjamin. Der springende Punkt: „Nicht erzählte Erfahrung, sondern die Erfahrung des Erzählenden selbst zählt.“ (62) Eben dies geschieht auch dem Erzähler Diastasimos in der Novelle „Riverside“: Heilwerden im Erzählen des Unheils, oder, mit Benjamin: „Der Erzähler ist die Gestalt, in welcher der Gerechte sich selbst begegnet.“ (87) Wolf-Andreas Liebert bringt seine religionslinguistischen Forschungen mit Patrick Roth ins Gespräch und fragt, ob man Parallelen zu alltagssprachlichen Erzählungen (spirituellen) Erwachens ziehen kann. Strukturparallelen werden zwar erkennbar, aber die Unterschiede sind doch überdeutlich, da es sich in Roths Erzählungen gerade nicht um alltagssprachliche Verarbeitung einer Erwachenserfahrung handelt, sondern um ein „kunstvolles, in jeder Weise sprachlich durchgearbeitetes, großes literarisches Werk“ (126). Ludger Verst interpretiert die mittlere und am schwersten zugängliche Erzählung der Trilogie, „Johnny Shines“. Aus tiefenpsychologischer Sicht, so Verst, ist sie zu lesen „als das Modell einer Traumaästhetik, die der Nicht-Darstellbarkeit traumatischer Erlebnisse literarisch Form verleiht“ (141). Rita Anna Tüpper schlägt den Bogen vom Früh- zum Spätwerk und liest die zwischen 1991 und 1996 entstandene Christustrilogie im Licht des 2020 erschienenen „Gottesquartetts“. Dabei zeige sich, wie eine charakteristische Überzeugung Roths im Spätwerk immer deutlicher werde, nämlich ein im Herzen wurzelndes Schreiben als Bekenntnis (169). Der Perspektivenwechsel auf das Verhältnis von Gott und Mensch, den Roth seiner Leserschaft dabei immer wieder zumutet, ermögliche dabei die „Erkenntnis der Befähigung eines jeden Menschen zu einem prophetischen Leben – eine Zuschreibung, die erneut die tief humanistische und gerade darin transzendenzbezogene Radikalität der Literatur Patrick Roths zu erkennen gibt“ (162). Georg Langenhorst hat Roths Werk den Weg in die theologische und insbesondere religionspädagogische Rezeption geöffnet. Er stellt die Christustrilogie in die Reihe der zeitgenössischen Jesusromane, um am Schluss zu betonen, dass es nicht der Stoff, sondern der spezifische Umgang mit Sprache sei, der Roths Werk für die Theologie so faszinierend macht: Sie ermögliche „echte Vergegenwärtigung (…), reale Erfahrung, unverstellte Unmittelbarkeit, die Option auf tiefe Ergriffenheit“ (190). Die performative Kraft eines Textes konstatiert Thomas Schumacher auch für neutestamentliche Texte, die das zentrale und doch unsagbare Thema Tod und Auferstehung behandeln. Insbesondere das Verhältnis von Schrift und Erfahrung, Text und Leben in den Erzählungen Roths ist dabei für den Neutestamentler inspirierend, der sich aus dem allzu engen Korsett der historisch-kritischen Rekonstruktion lösen will. Es folgen im Band mehrere kürzere Beiträge zum Thema Offenbarung (Helmut Müller), Bibeldidaktik (Marie-Luise Reis), Allversöhnung (Thomas Menges) und Geschichtsphilosophie (Jochen Ring).

Den Abschluss des Bandes bilden zwei sehr interessante Interviews mit dem Schriftsteller Patrick Roth selber. Zum einen mit den Herausgebern des Bandes („Nahe dem Feuer“) und zum andern mit Stefan Seidel („God is Reality Itself“). Darin zeigt sich einmal mehr, wie sehr es Patrick Roth immer wieder gelingt, seine Leser mit hineinzunehmen in seinen eigenen spirituellen Weg. Auf die Frage, ob es ihm möglich sei, das, was er unter „Gott“ verstehe, näher zu beschreiben, antwortet Patrick Roth: „Es ist mir nicht möglich. Das Größere kann vom Kleineren nicht begriffen, nicht verstanden werden. Aber jedes meiner Bücher, würde ich behaupten, will an solche Bilder rühren, sucht zu beschreiben, mehr noch: will diese Bilder – ich glaube, das ist das eigentliche Ziel – geschehen machen, diese Bilder geschehen lassen, in ihrer Wirkung zum Geschehnis öffnen im Leser.“ (273) Wen wundert, dass diese Literatur spirituell und theologisch interessierte Leser und Leserinnen immer wieder von Neuem fasziniert? Wer nach der Lektüre von Patrick Roths Erzählungen und Texten mehr sucht, Anregungen und Hinweise für tieferes Verstehen und weiteres Nachdenken, der greife zum vorliegenden Band und wird es nicht bereuen.

Patrick Roth im Gespräch
Würzburg: Königshausen & Neumann Verlag. 2022
280 Seiten
49,80 €
ISBN 978-3-8260-7421-9

Zurück