Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michel Remery: Twittern mit Gott

Dieser Jugendkatechismus ist 2018 aus der niederländischen Kirche und der dortigen Johannes-Paul-II.-Bewegung auf den deutschen Markt übernommen worden. Der Autor arbeitet derzeit als nationaler Jugendkaplan in Luxemburg „für Evangelisierung“. Die Verbreitung seines Projektes „Twittern mit Gott“ bildet darin offenkundig eine Kernaufgabe. Das Buch liegt in 20 Sprachen vor und wird verknüpft mit einer Webseite und einer Smartphone-App, die beide als Sprungbrett ins Buch dienen. Titel und Farbschema sind von der Social Media-Plattform Twitter übernommen, die konzeptionell als Trittbrettfahrt zur Jugendlichkeit verwendet wird. Twitter ist bekannt für eine nicht hierarchische Netzwerkarbeit, durch rasche, interaktive Kommunikation und Diskussion – und auch für problematische Ausbreitung von Fake News und Hate Speech. Auf Twitter selbst nutzen nur der Autor bzw. der Buch-Account die empfohlenen Hashtags, ein Indikator, dass hier keine aktive Community eine Diskussion führt, sondern eine lineare Auswertung stattfindet.

Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert: (1) Tweets über Gott: Der Anfang und das Ende, (2) Tweets über die Kirche: Ursprung und Zukunft, (3) Tweets über dich und Gott: Gebete und Sakramente, (4) Tweets über das christliche Leben: Glaube und Ethik. Jedes Kapitel eröffnet eine Einleitung aus der Feder (ehemaliger) Jugendbischöfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie des Erzbischofs von Luxemburg. Anschließend werden 50 fiktive Fragen auf jeweils einer bebilderten Doppelseite beantwortet; als Quellen dienen vorrangig die Bibel, der Katechismus der Katholischen Kirche und der YouCat, zudem päpstliche Ansprachen, CIC und einige Enzykliken, selten Heilige der katholischen Tradition (Augustinus, Ignatius, Josemaría Escrivá, Thérèse v. Lisieux).

Remery beschreitet einen dem YouCat angelehnten Weg, der wie YouCat sich um komplexere und modernere Theologie bemüht sowie sprachlich knapper, anspruchsvoller und gegenwartsbezogener formuliert. Exemplarisch zeigt sich der Unterschied an der Positionierung zum Thema sexueller Missbrauch durch Kleriker: Remery erkennt zwar die Möglichkeit und Problematik von einzelnen sündigen Klerikern, beschwört aber die Sündlosigkeit der Kirche, und ruft dazu auf, „für den Papst, die Bischöfe und die Priester zu beten“ (143). Der YouCat bezieht hingegen das Thema „Doppelmoral“ (192) auf sexuelle Gewalt durch Kleriker, nimmt die Perspektive der Betroffenen mit ein und benennt die Verdunkelung der Hoffnung auf Gott bei den Gläubigen – auch an anderen Stellen (212, 223) benennt der YouCat die Dimension des Verbrechens an Unschuldigen.

„Twittern mit Gott“ kommt aus einer ständisch verfassten und an Traditionen sowie liturgischer Praxis orientierten römisch-katholischen Kirchenrealität, die sehr aufs Bewahren setzt. Daran ist natürlich nichts falsch, aber auch längst nicht alles zukunftsweisend. Für die religiöse Positionierung in einer pluralen Gesellschaft wirkt theologisch und religionspädagogisch das Verhältnis zu anderen Religionen, insbesondere zum Judentum zentral. Der Autor versäumt hier die Rezeption exegetischer und historischer Forschung (152), welche längst nicht mehr eine vollzogene Trennung des Christentums vom Judentum mit der Bekehrung des Paulus postuliert. Das Verhältnis von heutigem Judentum und Christentum wird nicht thematisiert (obgleich dies für die Theologie von Johannes Paul II. so zentral war!), sondern in gefährliche Nähe zu einer den Moses-Bund ablösenden Verheißungs- und Erfüllungstheologie (68f) gebracht. Im problematisch betitelten Kapitel „Muslime, Barbaren und Orthodoxe“ wird der Islam in einer politisch-expansiven Tradition beschrieben, der Dschihad als äußerer, nicht als innerer Weg verstanden.

Für die Firmkatechese und die Jugendarbeit ist dieses Lesebuch eher in Ausschnitten zu empfehlen. Die formulierten Inhalte benötigen theologische Ausfaltung und Problematisierung sowie eine kundige und sensible Resonanz, die der Text selbst tendenziell vermissen lässt. Die kirchengeschichtliche Gesamtorientierung, der Kurzüberblick über ethische Grundfragen, persönliche Gebetspraxis und Gottesverständnis zeigen den umfassend konzeptionellen Willen des Autors. Empfehlenswert ist der Ansatz, ein individuelles Gebetsleben zu entwickeln – durchaus im Horizont tradierter katholischer Formen – und persönlich nach Heiligkeit zu streben, stehen doch Aufbau und Pflege einer persönlichen Gottesbeziehung im Vordergrund jeder religionspädagogischen und katechetischen Bemühung.

# Urknall, Gebet, Bibel, Sex, Kreuzzüge, Sünde, Karriere …
Freiburg: Herder Verlag. 2018
440 Seiten m. farb. Abb.
20,00 €
ISBN 978-3-451-38189-8

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