Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Monika Neugebauer-Wölk: Kosmologische Religiosität am Ursprung der Neuzeit 1400-1450

Eine vertraute, durch Aufklärungsoptimismus und Fortschrittsglaube geprägte Lesart unserer Vergangenheit lautet ungefähr so: Ist im Mittelalter der Blick auf das in analoger Erkenntnis erfahrbare Wesen der in Gott fundierten Wirklichkeit bezogen, so verändert sich mit dem Beginn der Neuzeit die Perspektive. Die Naturbetrachtung wendet sich von der Wesensbeschreibung ab und zur Empirie hin, deren Gesetzmäßigkeiten für sich relevant werden. Das 15. und das beginnende 16. Jahrhundert sind etwa das Zeitalter großer geographischer, technischer und astronomischer Entdeckungen. Dann kommt die Aufklärung: Kritische Vernunft will sich von sich aus in den Kosmos einordnen. Sie betrachtet sich nicht mehr als durch göttliche Vernunft im Universum geborgen, sie will sich vielmehr selbst, wenn überhaupt aus Gründen notwendig gewordener Selbstorientierung, zur göttlichen Vernunft in Beziehung setzen. Neuzeitliche Vernunft tritt dabei empirisch forschend auf die Welt zu und befragt sie.

Monika Neugebauer-Wölk betrachtet den „Ursprung der Neuzeit 1400-1450“ aus einem anderen Blickwinkel, der das übliche Lesemodell von Säkularisierung korrigiert. Im Anschluss an Martin Riesenbrodt versteht die Autorin „Kosmologische Religion“ als einen „Komplex von Praktiken, die auf Kulten bzw. Liturgie beruhen, die übermenschliche Mächte des Kosmos anrufen. Diese Praktiken müssen aus schriftlichen Quellen nachweisbar und als wiederholte rituelle Übung gedacht sein. Die Existenz einer Institution zur Gewährleistung dieser Kulte ist nicht erforderlich.“ (43) Die entsprechende Religiosität bezieht sich auf die Vollzüge dieser Religion. Unschwer erkennt der Leser von dieser Bestimmung her die Aktualität des Themas, wenn man etwa an die „metaphysische Nutzung“ der Quantenphysik und der physikalischen Kosmologie denkt.

Dabei ist davon auszugehen, dass die kosmologische Religion bzw. Religiosität sowohl Grundmuster als auch epochal veränderliche Elemente enthalten, die sich in diesem Falle in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts entwickeln. Basis dieser kosmologischen Religion ist der Theismus, der hier alternativ zum Christentum als eine rationale Zugangsweise außerhalb Offenbarung theologischer Prämissen gefasst wird. Damit wird kosmologische Religiosität im fünfzehnten Jahrhundert zu einem „Elitenphänomen“ (44), was natürlich nicht sagen soll, dass alle damaligen Gelehrten diesen Standpunkt vertreten haben oder dass diese Anhängerschaft gar uniform gewesen sei. Vielmehr handelt es sich bei der im fünfzehnten Jahrhundert aufkommenden Variante der kosmologischen Religiosität um den vielgestaltigen Versuch einer rationalen Bezugnahme auf das Wesen unseres Universums und der Rolle des Menschen darin, der bis heute unsere Religionsgeschichte wesentlich mitprägt (51). Auf vielen Seiten „erzählt“ die Autorin diese Geschichte einer Denkfigur des fünfzehnten Jahrhunderts.

Ein Beispiel, das von wesentlicher Bedeutung für das Gesamtwerk ist, sei hier angeführt: Georgios Gemistos (ca. 1355/1360-1452, Pseudonym Plethon, gern analog zum römischen Kaiser Julian, auch noch Apostata genannt) versucht am Ende des Mittelalters einen eigenständigen neuplatonisch beeinflussten kosmologischen Polytheismus zu entwickeln. Dabei ist „Horomazes“ der oberste Gott, der den ontologisch weniger hohen guten Gott „Mithres“ überragt. Darüber hinaus gibt es als dritte Kraft ein böses Wesen namens „Areimanios“ das den Bereich der radikalen Endlichkeit beherrscht. Dabei greift Gemistos auch auf das Denkmodell der Jenseitsreise zurück und will „den Seelen der Menschen die Himmelsreise durch einen Kosmos … eröffnen, der vom Zusammenwirken zweier Götter bestimmt ist, die gleichermaßen das Gute verkörpern“(439). Zugleich will er – „unter dem Stichwort der Hellenischen Theologie“ als „Alternativmodell zum Christentum“ (419) – an die seiner Meinung älteste Religion der Menschheit, an den Zoroastrismus, anknüpfen. In seiner „Abhandlung über die Gesetze“ differenziert sich dieses Denken polytheistisch aus. Ein langes Schlüsselzitat (442) zeigt die originelle Perspektive des Gemistos im Hinblick auf den Monotheismus, der als Ausnahme und nicht als Maßstab betrachtet wird (443). Gemistos führt in einem Fragment ein Gedankengang aus, den ich im Hinblick auf die Nutzung im Religionsunterricht ausführlich zitiere:

„Götter sind alle Wesen, deren Natur stärker und glücklicher als die des Menschen ist. Sie sorgen für die Menschen aus der Überfülle ihres Glücks. … Es gibt eine größere Zahl von Göttern, die sich nach ihrem göttlichen Rang unterscheiden. Der größte und oberste von ihnen ist der Götterkönig Zeus, der die anderen durch seine Mörder und staunenswerte Natur überragt. Er ist in jeder Hinsicht und durchaus ohne Anfang, da er niemand sein Dasein oder seine Geburt verdankt, er ist ein eigener Vater, stand als einziges alle Wesen aus sich selbst, ist der Vater und älteste Schöpfer aller anderen Dinge. … Die anderen Götter nehmen den zweiten und dritten Rang der Göttlichkeit ein. Die einen sind Kinder und Schöpfungen des Zeus selbst, die anderen standen als Kinder von seinen Kindern und aus Schöpfungen von seinen Schöpfungen. Mit ihrer Hilfe regierte König Zeus alles andere und auch die menschlichen Angelegenheiten. Den einen hat er als Statthalter über ein größeres, den anderen über ein kleineres Teilgebiet seines Gesamtreiches eingesetzt.“ (447f)

Das reichhaltige Buch bietet die Möglichkeit der Vorbereitung eines Religionsunterrichts, der – außerhalb der üblichen Zitate – originelles und aufschlussreiches Textmaterial darbietet. Darüber hinaus führt es in eine andere wichtige Betrachtungsweise unserer „Neuzeit“ und ihrer Art der Rationalität ein.

Paderborn: Brill – Schöningh Verlag. 2019
838 Seiten
168,00 €
ISBN-13: 978-3-657-77861-4

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