Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Monika und Udo Tworuschka: Der Islam: Feind oder Freund?

„Dieses Buch ist kein islamkritisches Buch, sondern ein kritisches Islambuch. Das ist nicht dasselbe. […] Wir wollen in unserem Buch nicht die Fratze des Islam zeigen, sondern das Gesicht einer bedeutenden Religions- und Kulturtradition – selbstverständlich ohne Burka.“ Mit diesen programmatischen Worten erklärt das Autoren-Ehepaar Monika und Udo Tworuschka, beide ausgewiesene Religionswissenschaftler mit ausgezeichneten Publikationen im Bereich interreligiöser Dialog, die Zielrichtung des vorgelegten Sachbuches zum Thema Islam. Einer durch Populisten aufgeheizten Stimmungsmache stellen die Autoren 38 ausführliche Thesen entgegen, die Zerrbilder – zwischen Ängsten, Islamophobie und Rassismus – korrigieren und zu einer differenzierten Wahrnehmung und Diskussion anregen. Hierzu wählen die Autoren eine „Hermeneutik des Vertrauens“, die gepaart mit einer positiv verstandenen „Hermeneutik des Verdachts“ (was nicht mit einer inhumanen und antiislamischen „Hermeneutik der Denunziation“ oder permanenter Verdächtigung zu verwechseln ist) sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Weltreligion Islam zur Sprache bringen will.

Der erste Teil (These 1-9) des sorgfältig aufgebauten Gedankenganges greift typische Argumentationsmuster auf und hinterfragt diese kritisch. Auf die Gefahren, die aus der Verkürzung komplexer Zusammenhänge auf Parolen oder einer bloß auf Gewalt und Konflikte zugespitzten Darstellungsweise entstehen, wird kenntnisreich und argumentativ überzeugend hingewiesen. Auch die meist folkloristisch geführte Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht, wird thematisiert und eines subtilen Denkfehlers überführt: „Es gibt […] kein einheitliches Wesen deutscher Kultur, sondern ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen.“ Mit Rückgriff auf den französischen Philosophen François Jullien betonen die Tworuschkas, dass die Verschiedenheit der Kulturen nicht als Differenz von in sich geschlossenen Identitäten gesehen werden dürfe. „Kultur ist nichts Abgeschlossenes, Feststehendes, immer gleich Bleibendes, vielmehr liegt der Ursprung des Kulturellen in der Transformation. Im Dazwischen ereignet sich das Denken von Neuem.“

Der zweite Teil (These 10-19) führt diesen Gedanken weiter, verortet den Islam als Bestandteil der europäischen Geschichte („Der Islam ist keine dämonische, dunkle, fremde und gefährliche Macht, die wie ein Meteorit unvermittelt in unsere heile abendländische Welt gestürzt ist.“) und stellt fundiert verschiedene Facetten und Aspekte der islamischen Ethik und Glaubensüberzeugung vor. Im dritten Teil (These 20-29) widmet sich das Autoren-Paar kontroversen Themen (Islamismus, Gewalt und Djihad, Stellung der Frau, Ehrenmorde, Demokratieverständnis), die vielschichtig beantwortet werden, ohne in die Falle monokausaler Erklärungsmuster zu tappen.

Die Ausführungen münden in den vierten und letzten Teil (These 30-38), in dem praktische Erkenntnisse und Forderungen für die gezielte Lösung problematischer Sachverhalte formuliert werden. „Wir brauchen einen neuen Integrationsbegriff, der auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt beruht. […] Oft werden Zuwanderern positive gesellschaftliche Werte und Verhaltensmuster rundweg abgesprochen. […] Integration wird oft auf einseitige Anpassung reduziert, und schon geringe Zeichen einer islamischen Lebensform werden ängstlich als Islamisierungsversuche gewertet.“ Dabei sei zu bedenken: „Der Islam besticht insbesondere durch seine große Sozialverantwortung: Islamische Werte wie Brüderlichkeit, Solidarität, Respekt gegenüber älteren und kranken Menschen bereichern unsere teilweise recht ,kalte‘ Gesellschaft.“ Weiterführende Literaturhinweise und ein hilfreiches Sach- und Personenregister beschließen die wertvolle Thesenreihe, die u.a. vor dem fatalen „Surenpingpong“ vermeintlicher „Korankenner“ warnt, die aufs Geratewohl Bruchstücke aus dem Textzusammenhang brechen.

Das Buch lädt immer wieder zur eigenen Auseinandersetzung ein, zum Nach- und Weiterdenken und zum Austausch in Gruppen. Monika und Udo Tworuschka ist es gelungen, eine prägnante Argumentationshilfe zu erstellen, die auf ansprechende, gut verständliche, fundierte und äußerst kompakte Weise einer rechtspopulistischen „Hysterie“ mit sachlichen Argumenten ihr scheinbares Fundament nimmt.

38 Thesen gegen eine Hysterie
Freiburg: Kreuz Verlag. 2019
142 Seiten
15,00 €
ISBN 978-3-9446905-69-1

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