Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Muna Tatari / Klaus von Stosch: Prophetin – Jungfrau – Mutter

Was haben die Marienverehrung der katholischen Kirche und das Marienbild des Korans gemeinsam? Kann Maria, die einzige Frau im Koran, die namentlich genannt wird, für den interreligiösen Dialog eine Mittlerin, eine „Brückenfigur“ sein?

Dass Maria, die Mutter Jesu, für Christen und Muslime ein theologisch fruchtbares Gesprächsthema ist, veranschaulicht der vorliegende Band auf höchstem Niveau. Die namhafte Paderborner Forschergruppe Klaus von Stosch, Professor für Katholische Theologie und Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften, und Muna Tatari, Juniorprofessorin für Islamische Systematische Theologie und Mitglied des Deutschen Ethikrates, betrachten die „Mutter der Glaubenden“ nicht aus unterschiedlichen Perspektiven, vom Resümee am Ende des Buches einmal abgesehen, sondern gemeinsam – auch da, wo sie auf exegetischer, historischer und systematischer Ebene um „die Wahrheit“ ringen. Das bedeutet, dass sie die jeweiligen koranischen Verse über Maria einer surenholistischen Lektüre unterziehen, den ausgelegten Korantext diachron anordnen und historisch kontextualisieren. Damit schließt sich der Band sowohl methodisch als auch optisch an das von Mouhanad Khorchide und Klaus von Stosch verantwortete Buch „Der andere Prophet. Jesus im Koran“ (2018) an und darf als weiteres wissenschaftlich fundiertes Grundlagenwerk der Komparativen Theologie gewürdigt werden.

Der Band gliedert sich in vier große Kapitel. Nach der Darstellung des Marienglaubens in der christlichen Tradition (15-135), wo der Marienglaube biblisch, patristisch und dogmengeschichtlich skizziert wird, widmet sich das zweite Kapitel, der umfangreichste Teil der Arbeit, der Koranexegese (136-282). Hier werden die Suren Maryam (Q 19), Āl ʿImrān (Q 3) und al-Māʾida (Q 5) in ihrem intertextuellen Zusammenhang der Spätantike gelesen. Spannend und außerordentlich aufschlussreich ist die vorgelegte Diskursanalyse mit den Predigten der syrischen Kirchenväter. Zwischenfazits erleichtern die Lektüre: „Der Koran entallegorisiert also nicht die Bilder der christlichen Tradition, sondern deutet sie inklusiv und will uns helfen, selbst in die marianische Haltung hineinzufinden. Der Tempel steht eben nicht mehr nur in Jerusalem und das Tuch hängt nicht nur im Tempel, sondern ist jedem Menschen zugänglich“ (164f). Einige wenige Abschnitte schließen mit einer Ergebnissicherung, wo sich die trialogische Dimension der Untersuchung, die man in der Gesamtkonzeption hätte stärker fokussieren können, zumindest andeutet: „Im Verhältnis zur jüdischen Tradition erscheint Maria als Klammerfigur, die die drei monotheistischen Religionen miteinander verknüpft. An zahlreichen Stellen wird deutlich, dass sie die drei Religionen nicht gegeneinander ausspielen will, sondern in ihrer Weise miteinander verbindet.“ (205) Der dritte Teil betrachtet Maria in der Perspektive islamischer systematischer Theologie und fragt, welche Rolle der Figur Mariens in der islamischen Glaubenslehre heute zukommt und zukommen sollte (283-358). Fünf Impulse führen dies aus: Maria als Prophetin, Maria als Ort der Gottesbegegnung, Maria als emanzipatorische Gestalt, Maria als role model und Maria als Brückenbauerin. Das vierte Kapitel zieht aus christlicher und islamischer Perspektive gesondert Bilanz, wägt Chance und Grenzen ab und strukturiert die Ergebnisse nach den Lernformen der Komparativen Theologie: Intensivierung, Freilegung, Neuinterpretation, Aneignung, Richtigstellung und Reaffirmation (359-394). Ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein hilfreiches Personen- und Sachregister beschließen den Band.

Mit „Maria im Koran“ haben die beiden Autoren ein Studienbuch vorgelegt, das durch große Klarheit der Sprache besticht. Die Figur Mariens in ihrer Bedeutung als „Prophetin, Jungfrau und Mutter“ interreligiös durchzubuchstabieren, ohne Gesprächshindernisse auszublenden, erweist sich als bereicherndes Unternehmen im Dialog der Religionen.

Maria im Koran
Freiburg: Herder Verlag. 2021
432 Seiten
32,00 €
ISBN 978-3-451-38964-1

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