Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen

Seitdem er am 18. Oktober 2015 in der Frankfurter Paulskirche den Friedenpreis des Deutschen Buchhandels und damit nach Hannah Arendt-, Kleist- und Joseph-Breitbach-Preis endgültig den Ritterschlag als führender deutscher Intellektueller erhielt, erübrigt sich eigentlich jede weitere Bemerkung zu dem deutsch-iranischen Orientalisten Navid Kermani. Wie in seiner viel beachteten und anrührenden Friedenspreisrede ist er seit mehr als einem Jahrzehnt an der Grenze zwischen orientalischer und europäischer Kultur unterwegs als unermüdlicher Seismograph, Übersetzer und Mahner.

Neben „Zwischen Koran und Kafka. West-östliche Erkundungen“ erschienen mit „Ungläubiges Staunen“ allein im vergangenen Jahr gleich zwei bahnbrechende Arbeiten Kermanis, die dies in origineller, ja unnachahmlicher Weise belegen. Der vorliegende Band enthält 40, teilweise schon an anderer Stelle publizierte essayistische Besprechungen christlicher Kunstwerke, welche – in meist farbigen Abbildungen – ein Nachvollziehen von Kermanis Annäherungen leicht ermöglichen.

Unter drei mit I. Mutter und Sohn, II. Zeugnis und III. Anrufung überschriebenen Kapiteln versammeln sich 13 oder 14 in der Regel 4 bis 5 Buchseiten umfassende, in jedem einzelnen Fall lesenswerte Texte eines muslimischen Intellektuellen, der – oft angeleitet von einem „katholischen Freund“ – mit fremdem Blick und „zweiter Naivität“ „unsere“ christliche Kunst in Köln, Paris, Rom oder Florenz betrachtet. Nicht selten wird die konkrete Begegnung mit den Werken vor Ort geschildert, etwa wie schwierig sich der Zugang zu einer spätantiken „Maria Advocata“ im römischen Dominikanerinnen-Kloster Santa Maria del Rosario gestaltet, dann aber doch gelingt, oder wie sich ihm Albrecht Dürers „Hiob auf dem Misthaufen“ unerwartet auf einer billig erworbenen CD-Rom erschließt. Dabei verweben sich ganz selbstverständlich lokale Gegebenheiten, Lichteinfall, Gebet und Kirchen- oder Museumsraum mit einer sensiblen, immer genauen Bildbetrachtung. Der eigentliche Reiz der Miniaturen liegt neben seiner stupenden Belesenheit, die ihn Papst Benedikt ebenso zitieren lässt wie den islamischen Mystiker Halladsch, das apokryphe Thomas-Evangelium oder Hölderlin, in der Selbstverständlichkeit, mit der er seinen fremden Blick, den des Nicht-Christen, fruchtbar macht für eine frische, unerwartete, nicht selten im besten Sinne provozierende Neuentdeckung nur scheinbar „altbekannter“ Werke und Motive. Wesentliche Elemente seines Zugriffs sind dabei die theologischen Differenzen zwischen Islam und Christentum, welche in der Spannung zwischen katholischer Bilderfreudigkeit und islamischem Bilderverbot, vor allem aber natürlich zwischen der christlichen Verehrung Jesu Christi als Sohn Gottes und des Islams als (weder gekreuzigten noch auferstandenen) Propheten Isa kumulieren.

Dabei kommt Kermani als Kenner des Korans und der Bibel zupass, dass er vor allem die menschliche Seite des Geschehens, eine Vorstellung von der inneren Bewegtheit Mariens oder Jesu oder imaginierter Beziehungen und Emotionen zwischen den handelnden Personen mit berückender Leichtigkeit und Überzeugungskraft erfassen kann. Vom Jesus der erbarmungswürdigen Pieta in St. Kunibert (Köln) schreibt er etwa: „Nur die geschlossenen Augen wirken besänftigt; wie erlöst ruhen die Lider aufeinander. Ja, erlöst, geht es mir beim Anblick durch den Kopf, erlöst; dieser Jesus ist kein Erlöser, sondern wirkt selbst von der Folter, der Verachtung, dem Verrat der Mitmenschen erlöst, weshalb sich plötzlich die Frage mir aufdrängt, ob er überhaupt auferstehen wollte, stünde er vor der Entscheidung, ob er nicht das Nichts vorzöge einem Leben, auch einem künftig ewig schönen Leben, das aber zuvor solche Qualen bereitet.“

Dies wenige Zeilen machen deutlich, worin der Reiz dieses Bestsellers für den christlichen Betrachter liegt: Freundlich und kundig werden wir eingeladen, in einer nur leichten Verschiebung der Perspektive das Vertraute in neuen Horizonten zu erblicken. Was der mutmaßlich bilderentwöhnte Orientale Kermani sich in Jahrzehnten der aufmerksamen Wahrnehmung des für ihn Fremden erschlossen hat, wird uns zum Türöffner zu unserer eigenen Tradition. Selten ist der mögliche Ertrag eines feinsinnigen und von wechselseitiger Freundschaft, ja Liebe getragenen interreligiösen Dialoges greifbarer geworden als in diesem unbedingt empfehlenswerten Kompendium christlicher Kunst.

 

München: C.H. Beck Verlag. 5. Aufl. 2015

303 Seiten m. farb. Abb.

24,95 €

ISBN 978-3-406-68337-4

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