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Patrick Grasser: Religion inklusiv unterrichten
Patrick Grasser, Religionspädagoge und Referent für Inklusion und heterogene Lerngruppen am Religionspädagogischen Zentrum Heilbronn, gliedert seine als empirische religionspädagogische Praxisreflexion angelegte Dissertation in einer übersichtlichen Weise. Dabei stellt er die systematische Befragung von Lehrkräften in den Vordergrund. Sein Ziel ist es, deren Rückmeldungen zu versachlichen, nach wissenschaftlichen Kriterien zu bearbeiten und im Hinblick auf die Frage „Wie sollte sich eine inklusive und diversitätssensible Religionspädagogik weiterentwickeln?“ Schlüsse für die Praxis abzuleiten.
In der Einleitung stellt der Autor fest, dass ein gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung ohne ausreichende fachliche, finanzielle und personelle Ressourcen nicht sinnvoll erscheint. Gleichzeitig hebt er jedoch auch die besondere Vorbildfunktion der Religionspädagogik durch das paulinische Gemeindeverständnis, ohne Aus- und Abgrenzung zu wirken, hervor.
Im ersten Kapitel nimmt Grasser zunächst eine Standortbestimmung der Inklusion aus einer (religions-)pädagogischen Perspektive vor und bezieht diese auf die aktuelle bildungspolitische Umsetzung in Bayern. Die einzelnen Ausführungen lassen sich durch die föderalen Bildungsstrukturen in anderen Bundesländern nur teilweise auf andere Situationen übertragen.
In einem zweiten Kapitel leitet Grasser eine Forscherfrage und Arbeitshypothese ab, aus denen er Fragebögen entwickelt, die er im Rahmen einer Befragung von Lehrkräften anhand von neun Hypothesen im dritten Kapitel überprüft. Die Fragestellungen beziehen sich sowohl auf die eigene Wirkkompetenz von Lehrkräften im Religionsunterricht, die Bereiche der Aus- und Fortbildung als auch auf die Mitwirkung in den Schulentwicklungsprozessen.
Im vierten Kapitel wertet der Autor anhand von benannten Kriterien die durchgeführten Leitfadeninterviews in einer nachvollziehbaren Weise aus. Hier wird u.a. auf eine ungenügende Ausbildung der Religionslehrkräfte und auf eine zu geringe Vernetzung vor Ort in den Schulen hingewiesen. Der Autor benennt nachvollziehbar Veränderungs- und Unterstützungsbedarf und leitet daraus Gütekriterien für den inklusiven Religionsunterricht ab. Diese beziehen sich auf die Rahmenbedingungen des Lernens (räumliche Bedingung, Klassengröße), die personellen Kompetenzen (Qualifizierung der Lehrkräfte) und die methodisch- didaktischen Prinzipien. Diesen Kriterien werden drei empirische Forschungsergebnisse aus der Religionspädagogik gegenübergestellt (vgl. Kapitel 5.), zu denen sich der Autor positioniert und dazu eine hilfreiche Analyse vornimmt.
Die Ausführungen von Schweiker zu einem Inklusionsverständnis werden als ein hilfreicher Ansatz beschrieben, da er damit den Blickwinkel weitet und Inklusion interdisziplinär bearbeiten möchte. Die Thesen von Grümme werden dagegen als hinter der gegenwärtigen Bearbeitung des Inklusionsbegriffs stehend angesehen, da dieser eher von einem heterogenitätsfähigen Religionsunterricht und einer stärkeren Subjektorientierung ausgeht. Den Autorinnen und Autoren des Comeniusinstituts Möller/Pithan/Schöll/Brücker werden zwar vielfältige empirische Handlungsbeispiele zugestanden, diese hätten jedoch wissenschaftlich zusammengeführt und noch stärker auf die Berufsgruppe der Fachlehrkräfte hin bezogen werden sollen. Den Schlussfolgerungen von Grasser zum Stand in der religionspädagogischen Forschung kann an dieser Stelle nur zugestimmt werden.
Lesenswert ist auch das sechste Kapitel, in dem der Verfasser sich als Quintessenz aus der Diskussion für eine inklusive Religionspädagogik auf der Basis eines erweiterten Inklusionsverständnisses ausspricht. Auf der Grundlage der hier vorgestellten Praxisreflexion von Lehrkräften sollten Realisierungsmodelle für die Praxis modellhaft entwickelt und als Baustein für eine inklusive religionspädagogische Unterrichtspraxis genutzt werden. Das vorliegende Werk wird von dem Autor als ein „Durchgangspunkt für weitere Studien“ (262) angesehen. Er leitet in seinen Schlussbemerkungen sieben interessante Thesen für den Religionsunterricht ab. Dabei bezieht er verschiedene theologische, kirchliche, gesellschaftliche, schulentwicklungs- und schülerbezogene Perspektiven mit ein. Im Kapitel 6.4 wird Inklusion folgerichtig „als Zukunftsaufgabe empirischer Religionspädagogik“ (271) benannt. Er resümiert, dass neben der empirischen Begleitung des inklusiven unterrichtspraktischen Prozesses parallel auch ein fachwissenschaftlicher Diskurs weitergeführt bzw. eine entsprechende Begleitung erfolgen müsste.
Patrick Grasser schließt in seinem Werk mit den Worten: „Es bleibt die Aufgabe der Religionspädagogik, … Lern- und Erfahrungsräume zu (er)arbeiten … (und) die Exklusion zu durchbrechen. … Wo dies gelingt, zeigt sich etwas von dem inklusiven Geist. … Dort wird der Religionsunterricht zur Ekklesia, zu einer Gemeinschaft der Herausgerufenen.“ (274) Abschließend kann festgestellt werden, dass dem Autor nicht nur eine systematische Praxisreflexion, sondern auch eine Verknüpfung zwischen Empirie und Fachwissenschaft gelungen ist. Damit leistet er einen wertvollen Beitrag zu einer inklusiven und diversitätssensiblen Religionspädagogik.
Praxisreflexionen kirchlicher Religionslehrkräfte an Inklusionsschulen
Religionspädagogik innovativ
Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag. 2021
300 Seiten
49,00 €
ISBN 978-3-17-040624-7