Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Paul Petzel / Norbert Reck (Hg.): Von Abba bis Zorn Gottes

im Auftrag des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken
Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen

Das Buch „Von Abba bis Zorn Gottes“ ist ein wahres Desideratum und stellt eine hervorragende Grundlage für den Dialog dar. Verfasst von 33 jüdischen und christlichen Wissenschaftlern, werden hier 57 wichtige Begriffe – Juden- und Christentum betreffend – von A bis Z erläutert. Auf problematische Aussagen über das Judentum folgen jeweils Diskussionen und Perspektiven mit weiterführender Literatur. Das Ziel der Autoren ist es, Irrtümer aufzuklären, die das Verhältnis zwischen Juden und Christen seit 2000 Jahren schwer belasten. Von wissenschaftlicher Seite her gibt es diesbezüglich zwar seit dem 2. Vatikanischen Konzil mehrere Arbeiten, die Ergebnisse aber haben die Basis nie erreicht. Dies ist insofern verwunderlich, da nach der Veröffentlichung des Bußgebetes von Papst Johannes XXIII., in welchem er von der „Blindheit“ der Christen gegenüber dem auserwählten Volk spricht, noch viele Vorurteile im kollektiven Gedächtnis der Christen eingegraben sind. Jede Religion muss sich von einer anderen abgrenzen. Dass dies oft mit Polemik in Verbindung steht, ist unbestreitbar. Die Interpretation der Evangelien aber ließ Denkschemata entstehen, die vom Antijudaismus zum Antisemitismus führten. Dieses Buch ist geradezu dafür prädestiniert, zu verhindern, dass diese Fehlinterpretationen weiter im Umlauf sind. 

Gerade der Vorwurf des „Gottesmordes“, für manche sogar damals und teilweise auch heute noch eine Rechtfertigung für den Holocaust, lastet schwer. Dass die Kreuzigung eine römische Todesstrafe war, die Juden gar nicht ausführen durften, ist erschreckenderweise vielen noch unbekannt. Der Satz aus dem Matthäusevangelium „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Mt. 27,25) gibt Juden die Kollektivschuld am Tode Jesu. Und im Johannesevangelium (8, 44) wird sogar von den Juden gesprochen, die „den Teufel zum Vater haben“. Unter den Stichwörtern „Blut“ und „Gottesmörder“ wird die Problematik dargestellt sowie die damals übliche Deutungstradition, an welche Matthäus anknüpfte. Wie wichtig diese Erörterungen sind, zeigt sich daran, dass noch 2011 Richard Williamson, ein Bischof der Piusbruderschaft, diese Beschuldigungen öffentlich aussprach, obwohl sich die Katholische Kirche im Jahr 2000 für ihre Mitschuld am Holocaust bzw. der Schoa bekannt hatte. 

Der Satz „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,22-27; Lev 24,17-22; Dtn 19,15-21) ist im deutschen Wortschatz negativ besetzt. Er wird – auch in der säkularen Welt – immer in Verbindung mit Rache gebracht. Und der Rachegott des Alten Testamentes wird dem Gott der Liebe des Neuen Testamentes gegenübergestellt. Im ersten Fall handelt es sich jedoch um die Talionsformel, einen Rechtssatz, der nach rabbinischer Auslegung eine adäquate Strafe für eine Tat fordert, um unverhältnismäßig hohe Strafen zu verhindern. Die Gegenüberstellung „Gott der Rache“ und „Gott der Liebe“ ist so in den biblischen Texten nicht belegt. In der Diskussion darüber wird dargestellt, dass Rache mit Recht und Gericht zusammenhängt. „Gott als Garant der Rechtsordnung“, der die Rechtsordnung wiederherstellt. 

Auch das Wort „Pharisäer“ ist im Christentum mit einer negativen Assoziation belastet, sie gelten als heuchlerisch und bigott. Im Judentum sind die Pharisäer die Ausleger der Tora. Die Diskussionen um deren Auslegung hat im Judentum eine lange Tradition. Von den Pharisäern Hillel (gest. 9 n.Chr.) und Schammai (gest. 30 n.Chr.), bedeutende Gelehrte und Kontrahenten, finden sich sogar Sprüche im Talmudtraktat „Pirqe Avot“ (Sprüche der Väter). Wenn Jesus also mit den Pharisäern diskutierte, ist dies nichts Ungewöhnliches. Der Satz aus dem Matthäusevangelium „Auf Moses Stuhl haben sich die Schriftgelehrten und Pharisäer gesetzt. Alles nun, was sie euch sagen, tut und befolgt!“ (Mt 23,1-3) sollte bei den Christen gegenwärtiger sein (s. 146).

Mit diesem Buch wird eine neue Epoche des Dialogs eröffnet. Es leistet einen ausgezeichneten Beitrag für die Aufarbeitung des Antijudaismus in Kirchen und christlichen Gemeinschaften, indem es Argumente gegen Vorurteile liefert und falsche Assoziationen und Konnotationen abzubauen hilft. Daher sollte es auch unbedingt an den Schulen im Religionsunterricht seinen Platz finden.

Ostfildern: Patmos Verlag. 2017
207 Seiten
10,00 €
ISBN 978-3-8436-0887-9

 

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