Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Schmitt: Postdigital. Medienkritik im 21. Jahrhundert

Der Titel mag zunächst verwirren – „Postdigital“? Also ein Zeitalter, in dem es keine Computer und keine digitalen Felder mehr gibt? Dies ist nicht nur sehr unwahrscheinlich, sondern auch fern der Intention von Peter Schmitts Buch. Vielmehr möchte er eine Zuwendung zum Digitalen, die aber philosophisch reflektiert ist und ein neues Selbstverständnis der Anwender innehat (mit Blick auf das Cover des Buches ist wohl vielmehr von Selbstschutz zu sprechen).

Dabei steht nicht die Verteufelung aller digitalen Medien und ihrer Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft im Zentrum, vielmehr möchte Schmitt eine Analyse des aktuellen Zeitalters vollziehen, die die Zukunft des Selbst in den Blick nimmt. So stellt er bereits im Prolog die passende Frage, die das Buch trägt: „Ist der Mensch überhaupt noch das Subjekt der Geschichte? Oder wohnt er der technologischen Entwicklung nur noch ko-substantiell bei?“ In neun Kapiteln widmet er sich einer Vielzahl von Zugängen: Individualität, Emotionen, Technik, Freiheit, Wissen, Bildung, Medien, Gesellschaft und Ideologie. Beispielhaft sei hier das Kapitel Bildung näher beleuchtet, da allen Kapiteln der gleiche analytische Zugang zugrunde liegt, wenngleich die inhaltlichen Schwerpunkte dabei jeweils angepasst sind.

Schmitt bilanziert passend, dass wir in der heutigen Zeit über Unmengen an Informationen verfügen, die häufig seitens der User nur noch von Maschinen (Stichwort: Big Data) abgerufen wird und nicht mehr an Inhalten erlernt wird. Es folgen Verweise zu Adornos Theorie der Halbbildung, aus der er besonders kritisch den Einsatz von digitalen Medien in der schulisch-universitären Bildung betrachtet, wenn der Einsatz von Tablets etc. als „Fun-Faktor“ verpflichtend vorgesehen ist. Auf der Höhe der Zeit ist die Berücksichtigung der Corona-Krise und die damit einhergehende Nutzung von Microsoft 365 in Schulen. Die digitale Schülerbiografie – beginnend im Kindergarten bis hin zum Bewerbungsgespräch, in dem nur noch die Maschine prüft, ob die Person zum Unternehmen passt – scheint in manchen Ländern nicht mehr fern. Schmitt verweist hier treffend auf den Philosophen Günther Anders, der den Initiationsritus des Roboterzeitaltes noch als provokant-utopisch verstand. Müssen zukünftig noch Fremdsprachen erlernt werden, wenn Google alles übersetzen kann? Welche Rolle spielen die Geisteswissenschaften noch? Passen diese überhaupt noch in das Zeitalter von Big Data?

Genauso wie im dargestellten Bildungskapitel, so gelingt es Schmitt auch in den anderen Bereichen durch eine überzeugende philosophische Analyse, die Entwicklungen und Gefahren unserer Zeit aufzuzeigen. Die gemeinsame Basis aller Kapitel stellt die De-Imagination dar – was haben wir noch selbst gedacht und gesteuert, was ist uns vorgesetzt worden? Angelehnt an Hannah Arendts Verständnis von „Öffentlichkeit“ zeigt er sehr passend einerseits die mediale Monothematik innerhalb der Corona-Krise auf und geht gleichermaßen gründlich auf die insbesondere rund um COVID-19 herrschende Gefahr der Desinformationen und fake-news ein. Eine Entwicklung, die nicht neu ist, wie das Schlagwort „Lügenpresse“ zeigt.

Für die Lektüre ist eine grundlegende Kenntnis der philosophischen Denker und ihrer Theorien sicherlich hilfreich, hier setzt Schmitt Basiswissen voraus, was sich aber bei Bedarf mit einer kurzen Recherche schnell aneignen lässt. Dabei wäre es grundsätzlich wünschenswert gewesen, wenn den einzelnen Kapiteln mehr Raum gegeben worden wäre, da die Argumentationsdichte oft hoch ist und zugleich teils aber schnell abbricht.

Insbesondere mit Blick auf die Corona-Krise ist das Buch jedoch in vielerlei Hinsicht erhellend zu lesen, da diese die Digitalisierung beschleunigt hat. Mag es in Verwaltungsabläufen längst nötig gewesen sein, so ist es aber im schulisch-universitären Bereich in der gebotenen Eile sicherlich häufig zu unkritisch geschehen. Daher dient „Postdigital“ besonders der Postreflexion, damit die Gesellschaft, wie im Cover aufgezeigt, nicht digital ge- und verblendet vom Rollband stürzt.

Hamburg: Meiner Verlag. 2021
175 Seiten
16,90 €
ISBN 978-3-7873-3948-8

Zurück