Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rachel de Boor u.a.(Hg.): „Und endlich konnten wir reden …“ Eine Handreichung zu jüdisch-muslimischem Dialog in der Praxis

 

In einer Zeit, in der die Stimmen populistischer Gruppierungen immer lauter und sowohl der Antisemitismus als auch der antimuslimische Rassismus immer häufiger in Erscheinung treten, ist der Dialog wichtiger denn je. Dieses Buch versteht sich als „Handreichung“ zum jüdisch-muslimischen Dialog. Verfasst wurde es von Stipendiatinnen und Stipendiaten des jüdischen Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes (ELES) und des muslimischen Avicenna-Studienwerkes im Rahmen des jüdisch-muslimischen Thinktanks Karov-Qareeb (Hebräisch und Arabisch) für Nähe/Annäherung.

„MIT- statt ÜBEREINANDER“ zu reden ist das Motto des Buches, das weit über den Rahmen eines interreligiösen Dialoges hinausgeht. Im Vorwort, verfasst von den beiden Geschäftsführern Jo Frank (ELES) und Hakan Tosuner (Avicenna Studienwerk), wird bereits deutlich, dass die positiven Ergebnisse nicht ohne „Streit und Dissens“, ohne Vorurteile und Verletzungen erreicht worden sind. Und das ist das Besondere an diesem Dialogformat: Man spart die Konfliktstellen nicht aus.

Selbst der, wie es scheint, unlösliche Nahostkonflikt wird deutlich angesprochen. Gil Shohat widmet dieser Problematik das Kapitel „Der Elefant im Raum oder warum der Nahostkonflikt als Gesprächsthema in jüdisch-muslimischen Gesprächskreisen nicht ausgespart werden sollte“. Er macht darin deutlich, dass durch das „Verschweigen des Themas“ der Dialog nur lückenhaft stattfinden kann, und fordert daher eine „ehrliche Auseinandersetzung“. Es muss allen bewusst gemacht werden, dass, nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte, Israel für Jüdinnen und Juden „eine elementare Schutzfunktion“ darstellt, gleichzeitig aber das historische Palästina auch ein „Sehnsuchtsort“ der Palästinenser ist. Das Leid des Anderen muss ins Bewusstsein beider Parteien gerückt werden. Daher plädiert Gil Shohat für ein Konzept, das von zwei israelischen Wissenschaftlern und Aktivisten (Amos Goldberg und Bashir Bashir) entwickelt wurde. Sie fordern „institutionalisierte und ritualisierte Formen und Praktiken des geteilten Erinnerns und die gegenseitige Anerkennung von historisch tradierten Traumata.“

Sehr differenziert geht Hani Mohseni in „Wie wir reden: Richtlinien für eine gelingende Kommunikation“ mit Begrifflichkeiten um. Das vielzitierte Wort „Toleranz“ ist für ihn im „Kontext des Dialogs“ nicht förderlich. Es ist ihm zu „schwach“. Die „andere Position“ innerhalb eines Dialogs muss als gleichwertig angesehen werden, sie sollte nicht nur toleriert, sondern respektiert werden. Er fordert mit Recht, dass „alle problematischen Begriffe … definiert werden“ müssen. Doch eine gewisse Problematik bleibt dennoch bestehen. Das demonstriert er z. B. daran, wie man „religiös“ definiert. Noch problematischer wird es, wenn es um die Bedeutung von „Jihad“ oder um die Geschichte von „Abraham“ geht: Hier existieren „zwei Wahrheitsansprüche“. Es gibt eben, so betont er, keinen „absoluten Wahrheitsanspruch“, es genügt, wenn die Sichtweise des Anderen verstanden wird.

Wertvoll in diesem Buch ist ein Leitfaden, der dazu anregen soll, dass andere Gruppen einen solchen Dialog durchführen können. Auch die anderen Beiträge sind lesenswerte Überlegungen, um einen solchen komplizierten Dialog auf Augenhöhe zu führen.

Dass das jüdisch-muslimische Gespräch auf unterschiedlichen Ebenen geführt werden muss, nämlich institutionell, religiös-weltanschaulich sowie gesellschaftspolitisch, betont im Nachwort Frederek Musall, Professor für Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte, der u.a. stellvertretender Vorsitzender des Beirats des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes ist. Er und die Geschäftsführer der beiden Studienwerke weisen darauf hin, dass Karov-Qareeb ein Dialogformat darstellt, welches keinesfalls ein „Kuschelkurs“ sein wird. Und das ist auch gut so, denn das Verschweigen problematischer Themen trägt höchstens dazu bei, dass man höflich miteinander umgeht – Probleme kann man damit aber nicht lösen.

In diesem Buch stellen junge Menschen, Stipendiaten der Begabtenförderwerke, Dialogformate vor, um eine plurale und offene Gesellschaft zu gestalten. Ihre Gedanken und Vorschläge sollten wir wertschätzen. Das Buch ist mehr als nur eine Anleitung zum jüdisch-muslimischen Gespräch. Weil es praxisorientiert ist, ist es zu empfehlen für alle, die an Dialogformen interessiert sind.

Rachel de Boor / Jo Frank / Sonya Quertani / Hakan Tosuner (Hg.):
„Und endlich konnten wir reden …“
Eine Handreichung zu jüdisch-muslimischem Dialog in der Praxis

Freiburg: Herder Verlag. 2020
135 Seiten
14,00 €
ISBN 978-3-451-38842-2

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